Konrad Flecks „Flore und Blanscheflur“
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Der Erzählstoff um die Liebe zwischen einem sarazenischen Königssohn und einer christlichen Grafentochter war im Mittelalter in vielen europäischen Literaturen verbreitet und hatte seinen Ursprung in der altfranzösischen Literatur. Der mittelhochdeutsche höfische Roman „Flore und Blanscheflur“ wurde von Konrad Fleck vor 1230/1235 (eine genauere Datierung ist nicht möglich) nach einer altfranzösischen Vorlage verfasst, kann also noch zur hochmittelalterlichen Literatur gerechnet werden. Er ist in zwei frühen Fragmenten des 13. bzw. frühen 14. Jahrhunderts und in zwei vollständigen Handschriften des 15. Jahrhunderts überliefert.
Die Vorlage ist nicht bekannt, stand aber dem altfranzösischen „Conte de Floire et Blancheflor“ nah (um 1160). Wie immer bei Übertragungen aus dem Altfranzösischen handelt es sich auch hier nicht um eine wörtliche Übersetzung, sondern um eine freie und selbstständige Anverwandlung und Anpassung an den neuen kulturellen Kontext (‚Adaptation courtoise‘), die den Umfang von ca. 3000 auf über 8000 Verse erweitert.
Über den Autor ist wenig bekannt; seinen Namen kennen wir nur aus dem „Willehalm von Orlens“ von Rudolf von Ems (der ebenfalls in diesem Kurs behandelt wird und 1230/1235 entstanden sein könnte): Konrad Fleck wird hier in einem aufzählenden Kreis bereits verstorbener, vorbildhafter Autoren erwähnt: „[…] Here Flec der guote Cuonrat, / Do er Floren getat / Und Blancheflurs berihte“ (v. 2221-2223; „[…] der gute Herr Konrad Fleck, als er von Flores und Blanscheflurs Taten erzählte“).
Der Roman erzählt die Geschichte von Flore und Blanscheflur, deren in frühester Kindheit beginnende Liebe zahlreiche Hindernisse überwinden muss, bevor sie nach langer Trennung und der Überwindung von Gefahren zuletzt wieder zusammenkommen und heiraten; ihre zunächst illegitime Liebe, die aber zugleich als vorbildlich höfische Liebe einen gesellschaftlichen Wert darstellt, wird damit zuletzt in eine Herrscherehe überführt. Darüber hinaus zeigt der Text ein großes Interesse an der Thematisierung von höfischer Kultur, Kunst und Literatur.
Von einigen Forscher:innen wird „Flore und Blanscheflur“ als frühester Repräsentant der Gattung der Minne- und Aventiureromane bezeichnet, andere ordnen den „Willehalm von Orlens“ als ersten Vertreter dieser Gattung ein.
Textgrundlage ist die frei verfügbare Ausgabe von Emil Sommer von 1846.
Kolmerschlag, Eliane: Interpretation und Übersetzung des ‚Conte de Floire et Blancheflor‘. Poetische Herrschaftslegitimation im höfischen Roman, Frankfurt a.M. u.a.: Lang 1995. (Enthält eine zweisprachige Ausgabe eines der Vorlage nahestehenden altfranzösischen Romans.)
Putzo, Christine: Konrad Fleck: „Flore und Blanscheflur“. Texte und Untersuchungen, Berlin/München/Boston: De Gruyter 2015.
Bitte informieren Sie sich mithilfe der Verfasser-Datenbank über den Text. Eine orientierende Übersicht über den Text finden Sie unter folgendem Link.
Lesen Sie nun „Flore und Blanscheflur“ vollständig.
Raum- und Zeitstrukturen des Textes
Skizzieren Sie als ersten Einstieg in den Text die Raumstruktur und, sofern möglich, die Zeitstruktur des Textes in einer selbstgewählten Form (auch Visualisierungen sind möglich, z.B. in Form einer Karte zur Raumstruktur, ggf. mit Zeitmarkierungen; Sie können z.B. Flinga zur Unterstützung nehmen und einen Screenshot einreichen). Machen Sie sich dabei bewusst, dass der Text auch dort, wo er sich punktuell auf ‚reale‘ Räume bezieht, nicht ‚Realität‘ abbildet, sondern solche Referenzen in seine fiktive Welt integriert und imaginäre Räume entwirft. Beschränken Sie sich ferner bitte auf die Informationen, die der Text gibt, und ‚ergänzen‘ Sie bewusste Auslassungen des Textes nicht durch eigene ‚Vermutungen‘; machen Sie sich vielmehr klar, wo es im Text keine Angaben dazu gibt.
Sollten Sie sich für einen Text entscheiden, orientieren Sie sich an einer Begrenzung von 500 Wörtern.
Einführende Erläuterung:
Höfische Liebe (oder höfische Minne) wird in vormoderner höfischer Literatur nicht nur als exklusive Bindung zwischen zwei Figuren entworfen, die im Text mit reflexiven, emotionalen und auch körperlichen Dimensionen inszeniert wird; zugleich steht höfische Liebe immer auch für soziokulturelle (höfische) Werte. Das heißt, sie wird nicht nur als Beziehungstyp konzipiert, sondern – weit umfassender – als Kulturmodell, das in literarischen Texten imaginiert und verhandelt wird. Unter Kulturmodell wird hier eine historisch spezifische Verbindung von Orientierungswissen, Interaktionsmustern und Ausdrucksweisen verstanden. Höfische Liebe wird in den Texten in einer bewussten Widersprüchlichkeit entworfen: Einerseits kann sie als ‚Kunst‘ aufgefasst werden, die beherrscht und regelgeleitet perfektioniert werden kann, andererseits als eine auf den Menschen von außen gewaltsam einwirkende Macht, die sich jeder Ordnung entzieht. Die unbedingte, absolut gesetzte und exklusive Liebesbindung kann einerseits in Konflikt mit sozialen Normen geraten, andererseits ist höfische Liebe selbst ein hoher sozialer Wert, so dass sich durch die ‚richtige‘ Art des Liebens (durch ‚triuwe‘ und ‚staete‘) Vervollkommnung erreichen lässt. Für mittelalterliche höfische Literatur wäre es also gerade falsch und irreführend, ‚Liebe‘ bzw. ‚individuelles Glück‘ in eine schlichte Opposition zu ‚Gesellschaft‘ zu bringen. Mit der Thematisierung der Ehe (in höfischen Romanen immer die Adelsehe) hat der höfische Liebesdiskurs zunächst einmal nichts zu tun; ‚Ehe‘ als literarisches Sujet hat seinen Ort vielmehr im Herrschaftsdiskurs (s. die einführende Erläuterung in 3.5 „Feudaladelige Herrschaft und Geschlechterordnungen“). Das Thema höfischer Liebe ist besonders eng auf die Potenziale der literarischen Sprache und Rhetorik bezogen und nicht von ihnen ablösbar. Das wird schon daran deutlich, dass es nicht das ‚eine‘ Konzept höfischer Liebe gibt, vielmehr wird sie in den Texten immer wieder neu verhandelt – und die Vorgaben bzw. der Horizont für diese Aushandlungen sind je nach Gattung sehr unterschiedlich: in höfischen narrativen Texten ganz anders als im Minnesang (Minnelyrik), und im Minne- und Aventiureroman anders als z.B. im Artusroman.
Bitte lesen Sie als kurze Einführung hierzu:
Armin Schulz, Erzähltheorie in mediävistischer Perspektive, S. 53-63 (2.3.4.2 Höfische Minne) und 112-117 (2.3.5.5 Zur Thematisierung von Affekten).
Erarbeiten Sie sich bitte in gründlicher und intensiver Lektüre des mittelhochdeutschen Textes (nicht der Übersetzung) die folgenden Textpassagen: v. 1-146: Prolog; v. 589-844: ‚Kinderliebesidylle‘; v. 1051-1365: Abschiedsszene (Dialog/ Klagemonolog, erster Selbstmordversuch, Griffeltausch); v. 1731-1866 und 2227-2444: Klagemonologe und zweiter Selbstmordversuch; v. 2951-3209: Versunkenheitsmotiv; v. 3719-3870: Streit zwischen Minne und Wîsheit.
Höfische Liebe – Begehren – Affektsprache
Reflektieren Sie sich selbst in Ihrer Lektüreerfahrung und diskutieren Sie in der Gruppe: Inwiefern nehmen Sie Aspekte der Textpassagen als ‚fremd‘ wahr, was sagt dies über unterschiedliche kulturelle Prägungen von ‚Liebe‘, ‚Affekt‘ etc. (der im Text versprachlichten Vorstellungen und Ihrer eigenen)? Sie sollten sich dabei immer wieder bewusst machen, dass Ihre eigenen, subjektiven Vorstellungen von ‚Liebe‘, ‚Emotionalität‘ etc. von der heutigen Zeit und Kultur geprägt sind und daher mit den Konzepten, die die Texte entfalten, nicht sehr viel zu tun haben werden. Auf welche Weise wird also für Sie kulturelle Fremdheit beobachtbar? Achten Sie dabei darauf, Wertungen zu vermeiden. (Alle angegebenen Textpassagen, bes. die Kinderliebesidylle, Abschiedsszene, Klagemonologe.)
Wichtig: Die Erarbeitung dieser Diskussionsfrage ist Voraussetzung für die Erarbeitung der großen Schreibaufgabe zu „Flore und Blanscheflur“ (s. Tab 6.2., Aufgaben zu Einzeltexten).
- zum Thema Gender in gründlicher Lektüre die Einführung von Klinger in die Gender-Theorien, bes. S. 267-285
- zur Feudalgesellschaft und Herrschaft den folgenden interaktiven Inhalt.
Geschlecht und Herrschaft in „Flore und Blanscheflur“ Diskutieren Sie in der Gruppe: Inwiefern können gerade an diesem Text die beiden folgenden Aspekte besonders gut verdeutlicht werden? die ständische Definition von Geschlecht – ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ – in mittelalterlichen Texten; die Verknüpfung von Geschlecht, feudaladeliger Herrschaft und Macht. Belegen Sie Ihre Beobachtungen und Aussagen immer mit konkreten (nicht zu kurzen) Textpassagen.
Entwürfe von ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ (1000 Wörter) Welche Entwürfe von ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ i.S. von Gender als kultureller Konstruktion von Geschlecht entfaltet der Text, mit welchen sprachlichen Mitteln wird eine Figur als ‚männlich‘ bzw. ‚weiblich‘ markiert, wie werden Körper im Text inszeniert? Auf welche Weise sind unterschiedliche Modellierungen von Macht und Herrschaft mit unterschiedlichen ‚Männlichkeits‘-Entwürfen (Flore, Fenix, der Emir) verschränkt? Wie wird Flores Herrschaft – mit Blick auf höfische (kulturelle) Normen – legitimiert? (Textpassagen: Prolog, Prolog der Binnenerzählung, die Vorgeschichte der Mutter; das Gespräch des Herrscherpaares; der Emir; Flore und der Turmwächter; Beschreibung der Liebenden, Ausblick nach Heimkehr des Paares.)
Die literarische Integration der Figur Karls des Großen Im genealogischen Ausblick nach der Eheschließung der Liebenden werden die Geburt der Tochter Berchte (der Mutter Karls des Großen) und die Herrschaft Karls des Großen erwähnt. Damit werden Bezüge auf ‚Realität‘, auf die Vergangenheit der eigenen Kultur, zu Spielmaterial eines fiktionalen Textes. Welche Funktion könnte die literarische Integration der Figur Karls des Großen in die fiktive Welt des Textes haben? (Textpassagen: Prolog der Binnenerzählung mit Ausblick; Heimkehr und Ausblick.)
Feudalgesellschaft und Herrschaft
In diesem interaktiven Inhalt können Sie Ihre Kenntnisse über Feudalgesellschaft und Herrschaft im Hochmittelalter vertiefen. Diese sind die Grundlage für die Bearbeitung des nächsten Themenkomplexes. Falls Sie die Grafiken genauer betrachten möchten: Mit einem Rechtsklick können Sie sich die Grafiken des Inhalts in einem neuen Tab anzeigen lassen.
‚Schönheit‘ wird – ganz anders als im heutigen alltagsweltlichen Verständnis – in mittelhochdeutschen höfischen Texten als objektiver ‚Wert‘ aufgefasst, und zwar als kultureller und sozialer Wert. In sinnlich erfahrbarer Schönheit, die in rhetorisch durchgeformten Beschreibungen (‚descriptiones‘) von Figuren, kostbaren Ding-Objekten oder Architekturen sprachlich hervorgebracht werden kann, wird höfische Kultur in ihrem Wert unmittelbar sichtbar, sie manifestiert sich in ihnen. Auch höfische Literatur selbst kann in ihren Voraussetzungen, Wertdimensionen und Funktionen in den Texten implizit oder explizit thematisiert werden. (Wenn literarische Texte über Literatur reflektieren, bezeichnet man das als ihre poetologische Dimension.) All diese verschiedenen Manifestationen höfischer Kultur – die Schönheit des adeligen Körpers, kostbarer Artefakte, poetischer Hervorbringungen und die Schönheit der für derartige Beschreibungen verwendeten literarischen Sprache – scheinen häufig, was ihre Wertigkeit betrifft, einander zu entsprechen.
Erarbeiten Sie sich bitte in gründlicher und intensiver Lektüre des mittelhochdeutschen Textes (nicht der Übersetzung) unter den angegebenen Fragen die folgenden Textpassagen: v. 599-844: die Kinderliebesidylle; v. 1536-1672: erste Pokal-Beschreibung; v. 1806-1858: Flore in Blanscheflurs Erinnerung; v. 1947-2117 und 2207-2291: das Grabkunstwerk; v. 3956-3983: zweite Pokal-Beschreibung; v. 4151-4362: der Haremsturm; v. 6813-6972: die Beschreibung der Liebenden als Gefangene.
Was fällt Ihnen sprachlich/rhetorisch an den Beschreibungen (‚descriptiones‘) von Artefakten (Grabkunstwerk, Pokal-Beschreibungen, Haremsturm) und Figuren (Flore in Blanscheflurs Erinnerung; die Beschreibung der Liebenden) auf? Reflektieren Sie Ihre Lektüreerfahrung und diskutieren Sie in der Gruppe: Inwiefern nehmen Sie Aspekte der Textpassagen als ‚fremd‘ wahr, gerade in ihrer Sprachlichkeit? Versuchen Sie auch hier, Wertungen zu vermeiden und stattdessen Eigenheiten der literarischen Sprache und der Darstellungsweise vormoderner Texte zunächst nur wahrzunehmen und zu beschreiben.
Welche Aussagen über Kunst und ihre unterschiedlichen Wertdimensionen deuten die Beschreibungen der Artefakte an? (Textpassagen: Grabkunstwerk, erste Pokal-Beschreibung, Haremsturm.) Bitte laden Sie hierzu ein Strukturdiagramm hoch.
Welcher Zusammenhang zwischen höfischer Literatur bzw. Kunst einerseits und höfischer Liebe (s. die einführende Erläuterung unter „Komplex 1“) andererseits wird entfaltet? Wählen Sie als Textgrundlage hierfür eine der drei folgenden Textpassagen aus: Kinderliebesidylle, Grabkunstwerk, zweite Pokal-Beschreibung. Analysieren Sie den genannten Zusammenhang bitte in einem ca. 500 Wörter umfassenden Text.