Daniel Caspar von Lohenstein: „Sophonisbe“
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Daniel Casper von Lohensteins „Sophonisbe“ wurde im Mai 1669 am Elisabeth- bzw. Magdalenen-Gymnasium in Breslau uraufgeführt. Im Deutschland der Frühen Neuzeit fehlt im Gegensatz zu Spanien, England oder den Niederlanden eine homogene Entwicklung des Theaters, und so waren es der fürstliche Hof oder die Schule, in denen Dramen auf die Bühne kamen (vgl. Rohls 2021, S. 524). Aus diesem Grund werden Lohensteins Dramen auch als Schulstücke bezeichnet.
Um die Dramenkultur des 17. Jahrhunderts als Selbst- und Weltvergewisserung verstehen zu können, ist es aufschlussreich, sich zuerst den lebensweltlichen Horizont der Zeit zu vergegenwärtigen: Es ist die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, der ursprünglich als Auseinandersetzung zwischen Protestanten und Katholiken begann, aber dann in einen Hegemonial- oder Territorialkrieg ausartete. Daneben ist die Frühe Neuzeit von der Gegenreformation, der Hexenverfolgung und gleichzeitig von neuen Entdeckungen in Naturwissenschaft bzw. Mathematik geprägt. Es bildete sich ein antithetisches oder dualistisches Weltbild heraus: Diesseits und Jenseits sind als zwei Seiten einer höheren, göttlich garantierten Ordnung aufeinander bezogen. Dieses Weltbild des 17. Jahrhunderts ist einerseits die theatral vermittelte Mahnung, seine Tage zu nutzen (‚carpe diem‘), und andererseits Auftrag zum Affektmanagement. Die Kontrolle der Leidenschaften im Diesseits wird durch Freuden im Jenseits aufgewogen. Die diesseitige Welt wird als bloße Frist im Übergang zum eigentlichen jenseitigen Dasein verstanden. Das diesseitige Dasein kann in diesem Sinne als eine Bühne betrachtet werden, auf die die Menschen gestellt sind. Das Bild dieses Welttheaters (‚theatrum mundi‘) beinhaltet Trost und Mahnung zugleich. Alles Weltliche – seien es Schmerzen, seien es Freuden – ist vorübergehende Eitelkeit (‚vanitas‘), womit gleichzeitig die eigene Sterblichkeit veranschaulicht wird (‚memento mori‘). Es kommt nun u.a. dem Drama zu, diesen „essenziell theatralen Charakter der Welt“ zu veranschaulichen (Niefanger 2012, S. 232).
Dieser ‚theatrale Charakter‘ spiegelt sich auch im Trauerspiel „Sophonisbe“ wider, wobei Lohenstein in seiner Gefühlsdarstellung der Charaktere durchaus komplex ist: Die Affekte sind für Lohenstein „weder Laster noch Tugenden; also nicht per se negativ oder positiv konnotiert, sondern eingebunden in einer vernunftgeleiteten, intentionalen Motivationsdynamik. Allein der Grad eines (un)vernünftigen Umgangs mit den Affekten bestimmt über ihre Bewertung, kann gelobt oder getadelt, kann für ‚Greuel und Unglück‘ oder für tapfere und kluge ‚Entschlüssungen‘ verantwortlich gemacht werden.“ (Meyer-Kalkus 1986, S. 39) Bei der Kontrolle der Affekte geht es folglich nicht nur um das Erreichen einer stoischen Leidenschaftslosigkeit.
Darüber hinaus zeichnet sich bei Lohensteins Schulstücken ein anderes Geschichtsverständnis ab, da diese nicht mehr für eine eindeutige (moralische) Aussage stehen. Das liegt u.a. daran, dass der Handlungsverlauf nicht mehr ausschließlich im religiösen Sinn, sondern auch als Ergebnis politischer Handlungen gedeutet wird. In der „Sophonisbe“ wird die historische Wahrheit beispielsweise problematisiert, indem politische Positionen eingehend thematisiert werden (vgl. Niefanger 2000, S. 147 und vgl. Brenner 2011, S. 41-42).
Textgrundlage:
Daniel Caspar von Lohenstein: Sophonisbe. Trauerspiel, hg. v. Rolf Tarot, Stuttgart: Reclam 2012.
Handlungsführung
Rekonstruieren Sie für sich die zentralen Konfliktlinien des Dramas anhand der Hauptfiguren Sophonisbe, Masanissa, Syphax und Scipio, indem Sie entlang der Abhandlungsfolge 1-5 die Motivationen und Konflikte der Figuren klären.
(Tipp: Lohenstein schaltet zu Beginn des Dramas eine kurze Inhaltswiedergabe, die Ihnen eine erste Orientierung gibt.)
Zur Sicherung Ihrer Ergebnisse können Sie das Tool ClioVis verwenden.
Für die Bearbeitung der folgenden Aufgaben, sehen Sie sich bitte folgende Präsentation an:
(CC BY-SA 4.0 von Didier Descouens)
Opferungsszene
In der Opferungsszene in „Die dritte Abhandlung“ entdeckt Sophonisbe unter den zu Opfernden Syphax, der sich von Sophonisbe durch ihre Verbindung mit Masanissa verraten fühlt (Lohenstein 2012, S. 70-74, III, V. 289-430).
Lesen Sie diese Szene mit Blick auf die Wechselwirkungen von Affektausdruck und Entscheidungsfindungen unter Beachtung der folgenden Fragen:
- Mit welchen Argumenten legen Sophonisbe und Syphax ihre jeweiligen Positionen dar?
- Welche sprachlichen Bilder/Emblemata werden von den beiden verwendet?
- Inwiefern lassen sich an dieser Verwendung der Emblemata bestimmte Affektökonomien der Figuren unterscheiden?
Giambattista Zelotti: Sophonisbe bittet Massinissa um Hilfe, Fresko, 16. Jh.
(Public Domain)
Ein integraler Bestandteil von Barockdramen sind die Zwischenspiele, zu denen die sogenannten ‚Reyen‘ gehören, die Sie schon in der Präsentation „Reyen und Emblemata“ kennengelernt haben. Oft wird das Geschehen darin durch den Auftritt symbolischer Figuren auf eine die konkrete Handlung transzendierende Reflexionsebene gehoben. So verhält es sich auch bei dem Reyen, der direkt an „Die dritte Abhandlung“ anschließt (Lohenstein 2012, S. 74-79, V. 431-562). Hier treten u.a. die Affekte Eifersucht und Neid mit der Vernunft in ein Streitgespräch.
Vernunft und Affekte
Rekonstruieren Sie zunächst das Zwiegespräch zwischen der Eifersucht und dem Neid. Vergegenwärtigen Sie sich im Anschluss daran, wie die Vernunft auf die Affekte repliziert. Diskutieren Sie in Ihrer Gruppe abschließend, wie sich die Darlegungen im ‚Reyen‘ zu der vorangehenden Auseinandersetzung zwischen Sophonisbe und Syphax verhalten
Antike Büste von Scipio Africanus, 1638
(Public Domain)
Über das Streitgespräch in „Die vierdte Abhandlung“ zwischen Masanissa und Scipio hält der Germanist Dirk Niefanger fest:
„Ein Beispiel aus der ‚Sophonisbe‘ sei angeführt: der wichtige Dialog über kontrolliertes Handeln zwischen dem von seinen Affekten abhängigen Masinissa [sic] und dem ‚politicus‘ Scipio. […] Der Römer Scipio appelliert an die Vernunft des Afrikaners Masinissa; dieser sei doch ‚Mensch‘ wie er und deshalb gleichfalls fähig, seinen ‚Begierden‘ eingrenzend zu begegnen. Der sinnliche Masanissa argumentiert dagegen mit der Überlieferung: ‚Du bist der Götter Blut‘ wie Alexander der Große, entgegnet er; mit ihm sei er deshalb wohl kaum vergleichbar.“ (Niefanger 2005, S. 200)
Schauen Sie sich auf der Grundlage von Niefangers Zitat die Verse 96-344 in „Die vierdte Abhandlung“ genau an.
Politische Klugheitslehre und Affekte
Welche Argumente werden im Kontext der politischen Klugheitslehre (siehe Präsentation „Vor der Lektüre“) von Scipio gegen die Affekte Wollust, Neid und Eifersucht ins Feld geführt. Diskutieren Sie gemeinsam in Ihrer Gruppe, welche Funktion die Figur Masanissa für eine Thematisierung politischer Klugheitslehren in diesem Drama einnimmt.
Geschlechtliches Handeln im Affekt