Annette von Droste-Hülshoff: "Die Judenbuche" (1842)
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Bis heute millionenfach verkauft und in diverse Sprachen übersetzt sowie musikalisch, literarisch und künstlerisch vielfach adaptiert (vgl. Korten 2018, S. 508), gehört Annette von Droste-Hülshoffs Novelle „Die Judenbuche“ zu den meistgelesenen Texten des 19. Jahrhunderts. Diese intensive Rezeption ist insofern erstaunlich, als das Werk voller Unklarheiten steckt: „Es besteht ein so grundsätzlicher Dissens über Figurenkonstellationen und Handlungsverläufe,“ schreibt Lars Korten, „dass jede Inhaltsangabe der ‚Judenbuche‘ unter Verdacht steht, schon bei der Präsentation vermeintlicher Fakten das Dargestellte interpretatorisch zu verengen“ (ebd.; vgl. auch Kraft 1987). Es wird aber für die Literaturwissenschaft ungemein produktiv: „Die Judenbuche“ zählt bis heute zu den am lebhaftesten diskutierten Texten deutschsprachiger Literatur. Dazu tragen wesentlich Strukturelemente der von Droste-Hülshoff raffiniert konstruierten Kriminalgeschichten bei, wie etwa die geschilderten Morde, die Suche nach einem Schuldigen und die Darlegung der möglichen psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Gründe für das Handeln des Täters (vgl. Gaier/Gross 2018).
Betrachtet man das Gesamtwerk Droste-Hülshoffs, wird deutlich, dass „Die Judenbuche“ Teil eines größeren Projekts ist, nämlich der ausführlichen Darstellung vergangenen westfälischen Landlebens sowie westfälischer Topographie und Kulturgeschichte. Das geplante Buch blieb unvollendet. Einzelne Teile erschienen separat, so 1842 „Die Judenbuche“ , der Gedichtzyklus „Haidebilder“ (1842) und die Ortsbeschreibungen und die acht Balladen, die Droste-Hülshoff anonym dem von Ferdinand Freiligrath und Levin Schücking besorgten Band „Das malerische und romantische Westfalen“ beisteuerte. Dazu kommen im selben Jahr die Prosaschrift „Westphälische Schilderungen aus einer westphälischen Feder“, das Prosa-Fragment „Bei uns zu Lande auf dem Lande“ und das Lustspiel „PERDU! oder Dichter, Verleger, und Blaustrümpfe“, entstanden 1840 (vgl. Kilchmann 2018).
Dass Annette von Droste-Hülshoff überhaupt mit Werken an die Öffentlichkeit trat, ist nicht selbstverständlich. Ihrer konservativ-aristokratischen Familie zufolge sollten sich Angehörige nicht öffentlich zu Wort melden oder Texte publizieren, Frauen schon gar nicht (vgl. Grywatsch 2018, S. 2, 5, 16). Gleichwohl hatte bereits die junge Annette den Literaturmarkt im Blick und reflektierte diesen wie auch die spezifische Situation von Frauen darin in Briefen und poetischen Texten wie „Mein Beruf“, „Poesie“, „An die Schriftstellerinnen in Deutschland und Frankreich“ u.v.m. Als Leserin nutzte sie sehr häufig Leihbibliotheken (vgl. Grywatsch 2018, S. 4) und widmete sich ausführlich der Unterhaltungsliteratur, die sie u.a. im „Pfennigmagazin“ las (vgl. Blasberg 2018, S. 61). In Briefen setzte sie sich intensiv mit Literaturzeitschriften wie dem „Phönix“ und dem „Telegraph für Deutschland“ auseinander. Sie schmökerte in Modemagazinen und las politische Periodika (vgl. Blasberg 2018, S. 61).
Als Autorin setzte sie sich über Vorbehalte ihrer Familie, Geschlechtergrenzen und Standesetikette hinweg. Spätestens vom Herbst 1834 an verstand sie sich als Berufsschriftstellerin und bemühte sich intensiv darum, ein Publikum zu erreichen (vgl. Grywatsch 2018, S. 13f). Dies gelang ihr zunächst über eine Veröffentlichung im Aschenbach-Verlag, doch war Droste-Hülshoff an der überregionalen Verbreitung ihrer Texte durch ein möglichst prestigeträchtiges Haus interessiert, wasam ehesten durch eine Veröffentlichung in einem Periodikum gegeben war. Auch Theodor Storm beispielsweise veröffentlichte seine Novelle „Der Schimmelreiter“ zunächst in einer Zeitschrift. Annette von Droste-Hülshoff publizierte literarische Werke im angesehenen „Deutschen Musenalmanach“ und ihr Freund und Förderer Levin Schücking vermittelte sie als Autorin an die wichtigste, renommierteste Literaturzeitschrift ihrer Zeit: an das „Cotta‘sche Morgenblatt für gebildete Leser“ (vgl. Grywatsch 2018, S. 16), in dem 1842 „Die Judenbuche“ in mehreren Teilen, also als Fortsetzungsgeschichte, erstveröffentlicht worden ist, was für die Strukturierung der Geschichte maßgeblich ist.
Anne-Rose Meyer
Textgrundlage:
Bitte lesen Sie „Die Judenbuche“ in einer zitierfähigen Studienausgabe ganz und schlüpfen Sie bei der Lektüre in die Rolle eines Zeitschriftenredakteurs im 19. Jahrhundert: Markieren Sie die Stellen, an denen es Ihrer Ansicht nach günstig wäre, die Geschichte zu unterbrechen, um die Fortsetzung der Leserschaft in der nächsten Nummer Ihres Blattes zu präsentieren. An welchen Stellen können Sie sicher sein, dass die Leserschaft so neugierig auf den Fortgang der Geschichte ist, dass sie mit Sicherheit die nächste Ausgabe Ihrer Zeitschrift kauft? Bitte begründen Sie Ihre Wahl kurz hinsichtlich folgender Aspekte: Spannungsaufbau – Figurenpräsentation – Gestaltung der Handlung. Diese Aufgabe ist deswegen wichtig, da Interpretationen der „Judenbuche“ immer wieder auch mit der Erzählstruktur begründet werden (vgl. Rölleke 1972; Schneider 1976; Moritz 1989; Grywatsch 2006; Mecklenburg 2008).
Informieren Sie sich im Droste-Hülshoff Handbuch, hg. Cornelia Blasberg/Jochen Grywatsch, Berlin/Boston (de Gruyter) 2018, auf den Seiten 515 und 516 über den Zusammenhang von Textstruktur und den Zwängen, welche die Veröffentlichung dieser Novelle als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitschrift im 19. Jahrhundert prägen.
Vergleichen Sie die von Ihnen getroffenen Einteilungen mit den Einteilungen von H8 (Handschrift acht) in der historisch-kritischen Droste-Ausgabe, von denen ein Großteil identisch ist mit Enden der Teilabdrucke im Morgenblatt. Diskutieren Sie evtl. Unterschiede zu Ihren eigenen Einteilungen und denen Ihrer Gruppenmitglieder. Was spricht für, was gegen die jeweilige Einteilung?
Bitte finden Sie wenigstens fünf Adjektive, mittels derer sich das „Dorfe B.“, in dem die Handlung spielt, auf der ersten Seite beschreiben lässt.
Lösungs- und Reflexionshinweise
Ähnlich wie in Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ vermischen sich in „Die Judenbuche“ realistische Elemente mit romantisch-schaurigen, fantastisch anmutenden. Bitte ordnen Sie die u.g. Aspekte dem einen oder dem anderen Bereich zu.
„Die Judenbuche“ ist eine Novelle, in der es keine positive Identifikationsfigur gibt: Arme wie reiche Dorfbewohner haben sich untereinander desolidarisiert und kümmern sich weder umeinander noch um ein funktionierendes Gemeinwesen. Die Angehörigen christlichen Glaubens sind gewalttätig und/oder moralisch verwahrlost und pflegen meist antisemitische Vorurteile. Die Juden genießen einen gewissen Einfluss, sind als Geldverleiher aber übel beleumundet und werden einerseits Opfer von Gewalt. Andererseits scheint ihnen am Schluss der Novelle Gerechtigkeit im Sinne des alttestamentarischen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu widerfahren. Die weltliche Obrigkeit – etwa in Gestalt des Försters oder des Gutsbesitzers – ist demgegenüber unfähig, für geordnete Verhältnisse zu sorgen, weder rechtlich noch sozial. Lässt sich der Umstand, dass der Mord aufgeklärt wird, als hoffnungsfroh stimmende, gemeinschaftsfördernde Schlusswendung interpretieren?
Bitte tauschen Sie sich zu diesen Punkten in Ihrer Arbeitsgruppe aus und/oder machen Sie sich Notizen.
Bitte diskutieren Sie die Frage, wie die Aufklärung des Mordes zu bewerten ist, auch mit Blick auf die folgenden drei Textzitate:
Wenn Sie sich dem gesamten Textpaket „Prosa 1800-1900“ gewidmet haben, geben Sie bitte in Form einer Mind Map an, zu welchen Texten „Die Judenbuche“ inhaltlich oder strukturell eine besonders große Nähe aufweist. Welche Texte sind der „Judenbuche“ inhaltlich und strukturell am unähnlichsten? Bitte begründen Sie kurz Ihre Wahl, indem Sie Ihre Mind Map mit erläuternden Stichworten hinsichtlich Thematiken, Erzählstrukturen und Inhalten versehen.