VII. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“
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Historische Kontextualisierung 1800-1900
I. Friedrich Schillers „Maria Stuart“
II. Johann Wolfgang Goethes „Faust I/II“
III. Heinrich von Kleists „Die Hermannsschlacht“
IV. Christian Dietrich Grabbes „Napoleon oder Die hundert Tage“
VI. Johann Nestroys „Freiheit in Krähwinkel“
VII. Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“
VIII. Gerhart Hauptmanns „Der Biberpelz“
IX. Arthur Schnitzlers „Reigen“
Das Gesamtkunstwerk im 19. Jahrhundert
Drama 1800-1900: Kursübergreifende große Schreibaufgaben
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Wenn Sie verschiedene Literaturgeschichten konsultieren, werden Sie den Dramatiker Friedrich Hebbel und seine Werke in differierender Gewichtung, vor allem aber unterschiedlichen literarischen Strömungen des 19. Jahrhunderts zu- oder nebengeordnet finden. Diese Uneinheitlichkeit kommt nicht von ungefähr. Sie spiegelt in summa jene Zwischenstellung Hebbels, die bereits den Zeitgenossen des nach allen Richtungen angriffslustigen, empfindlichen, leicht reizbaren Autors nicht verborgen geblieben ist. Mit der theoretischen Abfassung des „Vorworts zur ‚Maria Magdalena‘“ verbindet Hebbel sodann zeitgleich das Gefühl, in einer Art Manifest „Jung-Deutschland, die schwäbische Schule, die politischen Poeten, die neuen Dramatiker […] im Vorbeigehen abgethan“ zu haben (Hebbel 1913: Bd. 6, S. 434). Weder mit den Vormärzlern noch mit den Jungdeutschen, weder mit den Münchner Neoklassizisten noch mit den poetischen Realisten um die Zeitschrift „Die Grenzboten“ und auch nicht mit den Spätromantikern des Schwäbischen Dichterkreises oder den altösterreichischen Dichtern wie z.B. Franz Grillparzer oder Adalbert Stifter kam Hebbel auf Dauer überein. Und gerade aufgrund seiner Weigerung, sich einer der zeitgenössischen Gruppierungen anzuschließen, gilt Hebbel, wie Büchner, Goethe, Kleist, Jean Paul, Wagner oder auch Kierkegaard, als einer der Individualisten des 19. Jahrhunderts (vgl. Hebbel-Biographie, Ritzer 2018).
Im Rückgriff auf die klassizistische Ästhetik statt durch den Bruch mit der Tradition versuchte er in Theorie und Schreibpraxis eine Erneuerung des Dramas herbeizuführen. Dabei intendierte er nicht weniger als den „ganzen gegenwärtigen Welt-Zustand“ dramatisch darzustellen, wie er am 2. Juni 1844 an seinen Verleger Julius Campe schreibt. Hebbels „Ideen-Dramen“ (Hettner 1924) spiegeln sodann die vielen Facetten seiner Zeit: den Weltschmerz und den Sozialismus, den Realismus und die Neoklassik, den Historismus, den Szientismus und den Symbolismus der beginnenden Gründerzeit. Das bürgerliche Trauerspiel „Maria Magdalena“ bildet eines von Hebbels Gegenwartsdramen, was ihn für diesen Moment dem poetischen Realismus zumindest nahe rückte. Hebbel behandelt in dem Stück den Generationenkonflikt zwischen Vertretern des alten Ordnungsstaats und des neuzeitlichen liberalistischen Bürgertums als zwei einander entgegengesetzte Extreme, zwischen denen eine Vermittlung auf einer vernünftigen Ebene im Sinne der Humanisierung der bestehenden Verhältnisse ausbleibt.
Als Textgrundlage zu „Maria Magdalena“ dient die 2005 im Reclam-Verlag erschienene Ausgabe mit Anmerkungen von Karl Pörnbacher. Sie enthält auch das „Vorwort zur ‚Maria Magdalena‘“.
Tanja A. Kunz
Christian Friedrich Hebbel im Kontext seiner Zeit
Verschaffen Sie sich zunächst einen rudimentären Eindruck von Leben und Schaffen des Dichters Christian Friedrich Hebbel im Metzlers Lexikon Weltliteratur (Ruckaberle 2006 Bd. 2: G-M). Es werden dort u. a. zentrale Namen aus dem Umkreis Hebbels eingeführt, die Ihnen in den folgenden Lektüreleitfragen und Arbeitsaufträgen wiederbegegnen werden. Sie erhalten auf diese Weise eine erste Vertrautheit mit dem Dichter in seiner Zeit.
Hebbels Theaterstück sollte ursprünglich keinen religiösen Titel tragen. Die Handlung ist zeithistorisch klar im Bürgertum des 19. Jahrhunderts zu verorten. Mit dem eigentlich geplanten Titel „Klara“ sollte das Schicksal der weiblichen Protagonistin ins Zentrum gestellt werden. Hebbels Verleger Campe traf die Entscheidung zum Titel „Maria Magdalena“. Aufgrund eines Satzfehlers im Erstdruck erschien der Dramentext unter dem Titel „Maria Magdalene“. Hebbel selbst benutzte letztgenannten Titel bisweilen zur Bezeichnung seines Stücks.
Mit welchem Titel das Stück heute in der Forschung bezeichnet wird, entbehrt der Einheitlichkeit. Zu finden ist sowohl der Titel des Erstdrucks als auch der biblische Titel. In der jüngeren Forschung ist eine Tendenz zu „Maria Magdalene“ zu verzeichnen.
Titelvarianten
Welche Veränderungen ergeben sich aus den drei Titelvarianten?
Diskutieren Sie in Ihren Gruppen, welche unterschiedlichen Erwartungshaltungen an die Gehalte des Stücks sich aus den Titelvarianten von Hebbels bürgerlichem Trauerspiel bei den Rezipienten ergeben können.
Wirkungsintentionen der Titelvarianten
Gehen Sie danach in eine kurze Lektürepause von ca. 30 Minuten. Lesen Sie in dieser Zeit aufmerksam die folgenden Kurztexte mit Blick auf die obige Fragestellung und notieren Sie sich, falls Ihnen durch die Lektüre neue Stichpunkte für die Tabelle einfallen.
- Charakterdrama: Asmuth 2016, S. 137-141
- Ideen-Tragödie: Hettner 1959, S. 206-209 und 221-223
- Auszug aus der Bibel zu Maria Magdalena: Mk 16 und Joh 20.11-18
Berücksichtigen Sie beim Charakterdrama auch die definitorischen Merkmale dieses Dramentyps, wie Sie sie anhand von Friedrich Schillers „Maria Stuart“ bereits kennengelernt haben.
Gehen Sie bei Bedarf gemeinsam zu den Inhalten der Course Presentation zur biblischen und ikonographischen Darstellung der Maria von Magdala zurück.
Legen Sie eine Tabelle nach untenstehendem Schema an und tragen Sie Ihre Ergebnisse in den jeweiligen Rubriken ein.
| Klara | Maria Magdalena | Maria Magdalene |
Charakterdrama |
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Ideendrama/Ideen-Tragödie |
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Religiöses Drama |
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Lesen Sie nun das Trauerspiel Hebbels.
Ein knappes Jahrhundert vor Hebbels „Maria Magdalena“, das ist zu Lessings Zeiten, definiert Johann Gottlieb Benjamin Pfeil im ersten systematischen Beitrag zur Theorie des neuen Genres „Vom Bürgerlichen Trauerspiele“ (1755) die Gattung in Anlehnung und Abgrenzung von Aristoteles als „die Nachahmung einer Handlung […] wodurch eine Person bürgerlichen Standes auf dem Theater als unglücklich vorgestellet wird“ (Pfeil 1755, S. 2). Weiter schreibt er: „Die Hauptabsicht des Trauerspiels ist, Schrecken und Mitleiden zu erwecken, oder, wenn man lieber will, die Tugend auch ohngeachtet ihres Unglücks liebenswürdig und das Laster allezeit verabscheuungswürdig vorzustellen. […] Sind bürgerliche Personen der Tugenden und der Laster weniger fähig, als die Helden? […] Wir sollten unempfindlich seyn bey den Leiden einer bürgerlichen aber tugendhaften Frau, welche so unglücklich ist, die Ehegattin eines verführten Spielers geworden zu seyn?“ (Pfeil 1755, S. 3-4)
Tugend und Laster
Achten Sie bei der Lektüre der „Maria Magdalena“ darauf, wie Tugenden und Laster bei den Personen des Hebbelschen Stücks verteilt sind.
„Lösungszitat“: Hebbels Tagebucheintrag vom 08.12.1843
„Heute Morgen habe ich die Reinschrift des bürgerlichen Trauerspiels geendigt […]. Jetzt sind alle Mauslöcher ausgestopft, und ich bin zufrieden, , besonders damit, daß sie eigentlich alle Recht haben, sogar Leonhard, wenn man nur nicht aus den Augen läßt, daß er von Haus aus eine gemeine Natur ist, die sich in höhere nicht finden und an sich nicht glauben kann, und daß also die Gebundenheit des Lebens in der Einseitigkeit, aus der von vornherein alles Unheil der Welt entspringt, so recht schneidend hervortritt, weshalb ich mich denn auch wohl gehütet habe, den Hauptcharakter, den eisernen Alten, am Ende in dem Scheidewasser, das der Sekretär, den der Tod einen Blick in die Verwirrung tun läßt und auf den Punkt, von wo aus die Übersicht möglich wird, erhebt, sterbend gegen ihn ausspritzt, aufgelöst erscheinen zu lassen, er darf nicht weiter kommen als zu einer A h n u n g seines Mißverhältnisses zur Welt, zum Nachdenken über sich selbst. Leonhard ist ein Lump, aber eben deswegen – ein Lump kann nichts Böses tun!“ (Hebbel 1963, S. 196-197)
Reflektieren Sie vor dem Hintergrund dieser Äußerung Hebbels Ihre eigenen Notizen und vergleichen Sie diese in der Gruppe.
Gattungsbestimmung
Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem von Hebbel hervorgehobenen Umstand, dass „eigentlich alle Recht haben“ (Hebbel 1963, S. 196) für die Erregung von Schrecken und Mitleid, die nach Johann Gottlieb Benjamin Pfeils Definition noch Ziel des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert war?
Markieren Sie Ihren Aktivitätsabschluss, um einen Reflexions- oder Lösungshinweis zu der Aufgabe zu erhalten.
Ein starker persönlicher Ehrbegriff regiert Hebbels Stück „Maria Magdalena“, der in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Schande steht, die aus einer öffentlichen Ehrverletzung resultiert. Reflektieren Sie die Verstrickung der Außen- und Innenperspektive dieser beiden Phänomene, indem Sie ein besonderes Augenmerk auf die Figur des Meister Anton legen.
Bei Klara handelt es sich um die in der Hebbel-Forschung umstrittenste Figur des Stücks. Uneinigkeit herrscht dabei vor allem in der Frage, wie weit ihre Abhängigkeit von dem von ihr geliebten Vater und den durch ihn vertretenen gesellschaftlichen Gesetzen reicht, wie weit sie sich also tatsächlich mit den patriarchalischen Normen identifiziert. Reduziert man Klara auf eine ihrer Kernaussagen: „Ich bin die Tochter meines Vaters“ (Hebbel 2005, S. 95), so bleibt ihre Existenz notwendig in einer rein relationalen Bezüglichkeit befangen. Ihre Selbst-Losigkeit ist dann gleichbedeutend mit einem fehlenden Eigen-Leben der Figur.
Dualismus von Mann und Frau
Ein zentrales Problem von Hebbels gesamtem Schaffen ist der Gegensatz zwischen Mann und Frau, der für ihn eine von vielen Ausformungen des in der Welt herrschenden Dualismus ist. Achten Sie bei der Lektüre der „Maria Magdalena“ darauf, wie sich die Frontstellung von Mann und Frau in der Dialogführung äußert.
Soziale Determiniertheit der Figuren
Lesen Sie vor dem Hintergrund dieser Ausführungen die Szenen 1 und 2 des 2. Akts. Reflektieren Sie, auf welche Weisen sich die soziale Determiniertheit Klaras darstellt und sondieren Sie Elemente der Widerständigkeit und der Fügsamkeit der Protagonistin in diesen beiden Szenen.
Beziehung zwischen Klara und ihrem Vater
Legen Sie nun einen besonderen Fokus auf die Beziehung zwischen Klara und ihrem Vater Meister Anton. Welche Ansprüche stellt er an sie und wie verhält sich Klara zu diesen Ansprüchen?
Bürgerliche Kleinfamilie
Weiten Sie nun Ihren Blick auf die ganze Familie Klaras. Betrachten Sie sie als den Prototypen einer bürgerlichen Kleinfamilie. Vollziehen Sie nun die Entwicklung dieser Familie im Durchgang durch das Stück nach, die zu Beginn des Stücks noch vollzählig vorhanden ist. Was bedeutet demzufolge zuletzt Klaras Tod für die Existenz der bürgerlichen Familie und der bürgerlichen Gesellschaft im Ganzen?
Gehen Sie zu den finalen Worten Meister Antons, der als letzter Repräsentant der bürgerlichen Kleinfamilie in „Maria Magdalena“ zurückbleibt. Welche Haltung spricht sich in seiner Äußerung aus: „Ich verstehe die Welt nicht mehr!“ (Hebbel 2005, S. 95)
„Antibürgerliches Trauerspiel“
Hebbels Stück wird auch als „antibürgerliches Trauerspiel“ bezeichnet. Achten Sie bei der Lektüre des Stücks darauf, wie die Vertreter des Bürgertums dargestellt werden, mit welchen Charakterzügen und Attributen sie ausgestattet werden und auf welche Weisen die Werthorizonte, die Normen, die Verhaltensweisen und die Vorstellungen des Bürgertums präsentiert werden. Arbeiten Sie dies für jede Figur im Einzelnen mit Blick auf ihren Bezug zur Gesellschaft heraus.
Dramenästhetik
Bei Friedrich Hebbel handelt es sich um einen Autor, der in der Verteidigung des alten, klassischen Dramas, ästhetisch produktive Momente entwickelt. Mit Hartmut Reinhardt kann daher die Hebbel’sche Dramentheorie als „Seismograph der Formproblematik“ (Reinhardt 1989, S. 56) verstanden werden.
Hebbels „Vorwort zur ‚Maria Magdalena‘“ von 1844 zählt zusammen mit Hebbels „Mein Wort über das Drama“ von 1843 und seinem Lebensbrief an Arnold Ruge von 1852 zu den wichtigsten theoretischen Quellen für das Verständnis von Hebbels Dramenkonzeption.
Lesen Sie nun das „Vorwort zur ‚Maria Magdalena‘“, das dem Stück voransteht, und beantworten Sie dazu folgende Aufgabe:
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Poetische Reflexionen
Hebbel unterscheidet zwischen den Gestalten und der/n Idee/n eines Dramas. Was versteht er unter diesen beiden Begriffen? In welchem Verhältnis stehen sie zu dem, was Hebbel die „Anekdote“ des Dramas nennt?
Wie beschreibt Hebbel das Verhältnis von Philosophie, Kunst und Welt? (Hebbel 2005, S. 19)