Rudolf von Ems „Willehalm von Orlens“
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In den 1230er Jahren verfasste Rudolf von Ems auf der Grundlage eines französischen Werks (womöglich „Jehan et Blonde“ Philippes de Remi) einen Roman, der um die Liebe zwischen Willehalm und Amelie, ihre Trennung und Wiedervereinigung sowie die ritterliche Bewährung Willehalms kreist. Der Text, der für zahlreiche spätere Romane modellbildend war, wurde im Mittelalter breit überliefert und (in modifizierter Form) sogar gedruckt.
Der Roman lässt sich der Gattung des „Liebe- und Abenteuerromans“ zuordnen, der in der Forschung auch mit der Junktur „Fürsten- und Herrschaftsroman“ benannt wurde. Entscheidend ist diesseits generischer Etikettierungen, dass in dem Text Fragen der Bewährung im Kampf (‚Abenteuer‘), die affektive Bindung der Protagonist:innen (‚Liebe‘) und eine Situierung im hochadligen Milieu (‚Fürst‘, ‚Herrschaft‘) eng geführt werden. Dabei werden Codierungen verwandt, die der ‚höfischen Kultur‘ entstammen, nicht also allgemein menschliche Zustände, Verfahren und Erwartungen thematisieren.
Charakteristisch für den Text ist die Verbindung einer Reflexion auf gute und gerechte Herrschaft mit der Darstellung einer Liebeshandlung. In beiden Fällen prägen Normen der hochadligen Hofgesellschaft den Text. Zugleich entstehen in ihrer Kombination Freiräume, die den Text zu mehr machen als zu einem ‚Fürstenspiegel‘.
Die Textgrundlage ist die frei verfügbare Ausgabe von Victor Junk von 1905.
Textgrundlage
Junk, Victor (Hg.): Rudolfs von Ems Willehalm von Orlens. Aus dem Wasserburger Codex der fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung 1905.
Rudolf von Ems. Willehalm von Orlens. Eingeleitet und übersetzt von Gisela Vollmann-Profe, Münster: Lit-Verlag 2017.
Rudolf von Ems „Willehalm von Orlens“
Verfolgen Sie die Präsentation, die Ihnen einen Überblick über den Inhalt des „Willehalm von Orlens“ gibt sowie die handschriftliche Überlieferung und die kritische Edition vorstellt. Lesen Sie nun den „Willehalm von Orlens“ des Rudolf von Ems. Bei der Lektüre hilft Ihnen neben der Übersetzung von Gisela Vollmann-Profe auch der Überblick über die Handlungsstruktur bei Victor Lüdicke, Vorgeschichte und Nachleben des „Willehalm von Orlens“ von Rudolf von Ems, Tübingen 1972 [ND Halle a. d. S. 1910], S. 3-70, den Sie konsultieren können. Dem tabellarischen Überblick können Sie auch entnehmen, worin Rudolf von Ems von „Jehan et Blonde“, möglicherweise der Vorlage, jedenfalls aber einem relevanten Vergleichstext, abweicht.
Literarhistorische Stellung des Textes
Informieren Sie sich mithilfe der Verfasser-Datenbank über die literarhistorische Stellung von Rudolfs Text: Lesen Sie außer dem Eintrag zu Rudolf von Ems auch die Einträge zu Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach. Skizzieren Sie das Verhältnis der Texte in Form einer Mindmap z.B. mit Flinga.
- Welche Maßstäbe werden an die Dichtung angelegt (Prologe zu den Abschnitten 1, 3 [ab V. 5595] und 5 [ab V. 12205])?
- In welchem literarhistorischen Zusammenhang situiert sich Rudolf von Ems und welche primäre Funktion übernimmt der Text, der für Konrad von Winterstetten verfasst wurde (Prolog zu Abschnitt 2 [ab V. 2143])?
- Inwiefern ist die konkrete höfische Gesellschaft, vor der Rudolf vorträgt, nicht exklusiver Rezipient und welche weitergehenden Funktionen übernimmt die Dichtung auch über die Zusammenhänge um Konrad von Winterstetten hinaus (Prolog zu Abschnitt 4 [ab V. 9735])?
Selbstaussagen des Rudolf von Ems Lesen Sie bitte: Timo Reuvekamp-Felber, Autorschaft als Textfunktion, in: ZfdPh 120 (2001), S. 1-23.
- Notieren Sie die zentrale These von Reuvekamp-Felber, wie Selbstaussagen von Verfassern mittelhochdeutscher Literatur zu verstehen sind.
- Reflektieren Sie unter besonderer Beachtung des Epilogs (V. 15601–15689) darüber, wie sich Rudolf von Ems selbst literarisch stilisiert; achten Sie insbesondere darauf, welchem Stand er sich zuordnet und welche Rolle die Ministerialität im Rahmen des primären Entstehungszusammenhangs um Konrad von Winterstetten spielt: Welche Verbindungen zwischen Sujet und Selbststilisierung des Verfassers lassen sich gemäß Reuvekamp-Felber beobachten? Welche Gegenargumente können Sie formulieren?
- Verschriftlichen Sie das ‚Pro und Contra‘ in Form eines Dialogs zwischen zwei Wissenschaftler:innen.
Vergleichen Sie den Prolog des „Willehalm von Orlens“ mit dem Prolog des „Tristan“ von Gottfried von Straßburg sowie den Beginn des zweiten Abschnitts mit dem Beginn des sog. 9. Buchs des „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. Rudolf von Ems bezieht sich deutlich auf Gottfried und Wolfram, auch wenn die Handlung seines Romans weder mit der schwierigen Konstellation im „Tristan“ noch mit dem Weg des Protagonisten im „Parzival“ in Verbindung gebracht werden kann. Welche Funktion haben dann diese Anschlüsse? In welchen Hinsichten stimuliert Rudolf Vergleiche mit den beiden anderen Verfassern?
Sie können dazu die Textausgabe des „Tristan“ aus dem Reclam-Verlag verwenden: Gottfried von Straßburg, Tristan, hg. v. Rüdiger Krohn, Bd. 1, Stuttgart: Reclam 2017.
Schlagen Sie im „Lexikon des Mittelalters“ nach, wer Gottfried von Bouillon war, der in V. 15587 („Jofrit von Brabant“) als Nachfahre Willehalms genannt wird. Denken Sie anschließend darüber nach, welche Konsequenzen es zeitigt, dass solche punktuellen Bezüge auf ‚Realität‘ in höfischer Literatur gelegentlich – so ja auch in Konrad Flecks „Flore und Blanscheflur“ – in den gleichwohl fiktionalen Text integriert werden. Welche Konsequenzen hat ein solcher genealogischer Rückgriff für die Annahme, dass auch die Romane des Hochmittelalters als ‚fiktional‘ zu betrachten sind?
‚Fürsten- und Herrschaftsroman‘?
Erstellen Sie eine zweispaltige Tabelle (max. 500 Wörter), in der Sie das Für und Wider der Zuordnung des „Willehalm von Orlens“ zum ‚Fürsten- und Herrschaftsroman‘ (Mathias Herweg) verzeichnen.
Mathias Herweg: Wege zur Verbindlichkeit. Studien zum deutschen Roman um 1300, Wiesbaden 2010 (Imagines medii aevi 25), S. 30ff.
Pro ‚Fürsten- und Herrschaftsroman‘ | Contra ‚Fürsten- und Herrschaftsroman‘ |
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Diskutieren Sie, wie man sich die Bedingungen der Produktion und Rezeption des Textes, ausgehend von den jeweiligen Prologen zu den Abschnitten, vorstellen kann. Gehen Sie dabei auch darauf ein, inwiefern sowohl die Produktions- wie auch die Rezeptionsseite nicht einfach nur mit einzelnen historischen Personen gefüllt werden können (vgl. besonders den Prolog zu Abschnitt 4).
So ist beispielsweise für die Produktion des Textes nicht nur der eine Verfasser zu nennen, er ist vielmehr Teil eines Verbunds; und auch auf Rezeptionsseite lassen sich nicht nur die im Text selbst genannten historischen Personen aufzählen, vielmehr gibt es Hinweise im Text selbst, dass ein größerer Rezipientenkreis angenommen werden kann. Die Forschung hat den Text, da der Auftraggeber Konrad von Winterstetten auch Erzieher der Söhne Friedrichs II. war (Heinrich [VII.] und Konrad IV.), als ‚Fürstenspiegel‘ gefasst: Inwiefern erschließt diese Annahme Aspekte der Handlung und der Figurenzeichnung? Inwiefern geht der Text aber auch über eine derart beschreibbare ‚Funktionalität‘ hinaus? Erörtern Sie darauf aufbauend, inwiefern sich – bezüglich literarischer Kommunikation und ihrer Strukturen – Literatur in der höfischen Kultur von Literatur in der Gegenwart unterscheidet.Betrachten Sie die Annäherung Willehalms und Amelies und diskutieren Sie in der Gruppe, wie ‚Liebe‘ im Roman erzählt wird. Wodurch wird sie hervorgerufen? Wie wird – auch mit sprachlichen Mitteln – die Zusammengehörigkeit von Willehalm und Amelie evoziert?
Untersuchen Sie gemeinsam die Emotionen der Figuren, die mit Unvorhergesehenem, Widrigem u.ä. konfrontiert werden (beispielsweise Ylie beim Tod ihres Manns, Willehalm angesichts der Nachricht, dass Amelie verheiratet werden soll). Versuchen Sie, die Prinzipien der Emotionsdarstellung – die spezifische Darstellungsweise, die sprachlich-stilistischen Dimensionen, die Bildlichkeit etc. – analytisch zu fassen!
Informieren Sie sich über die ‚ars dictaminis‘ im „Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft“.
Halten Sie den Aufbau des Briefs im Mittelalter fest. Absolvieren Sie dazu die untenstehende Übung.
Sehen Sie sich nun die Briefe an, die Willehalm und Amelie (mit Pitipas als Boten) schreiben. Diskutieren Sie, inwiefern sich diese Briefe nicht als ‚persönliche Mitteilung‘, sondern als regelkonformer Ausdruck verstehen lassen. Welche Implikationen hat dies für die Figurencharakterisierung?
Fassen Sie Ihre Ergebnisse schriftlich zusammen (max. 350 Wörter).
Die ‚Idealität des Helden‘ ist ein Signum der Romane des 13. Jahrhunderts. Werfen Sie einen Blick auf die Figur des Willehalm und diskutieren Sie, in welchen Hinsichten hier von ‚Idealität‘ gesprochen werden kann. Ziehen Sie dabei besonders auch das Geschehen bei der Entführung sowie die anschließende Bußfahrt in Betracht.
Vergleichen Sie in der Gruppe den „Willehalm von Orlens“ und Flecks „Flore und Blanscheflur“ bezüglich der ‚Idealität des Helden‘. Welche Rolle spielt die Verbindung von Liebes- und Herrschaftsdiskurs in beiden Texten?
Sehen Sie sich die eingangs im Anschluss an Ihre Vorerwartungen formulierten Fragestellungen hinsichtlich Figurenzeichnung, Raum- und Zeitdarstellung an. Beantworten Sie die Fragestellungen thesenartig mit Blick auf den „Willehalm von Orlens“ und begründen Sie Ihre Thesen (insg. 1000 Wörter).