Louise Otto: "Die Lehnspflichtigen" (1849)
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Louise Otto (später Louise Otto-Peters) wurde als sozialkritische Schriftstellerin des Vormärz bekannt. Ihre Pressearbeit hat, wie nur bei wenigen anderen Frauen ihrer Zeit, ihren Werdegang als Schriftstellerin und ihr Eintreten für die öffentlichen Angelegenheiten insbesondere der Frauen und ihrer Rechte geprägt. 1843 hatte der Demokrat und Paulskirchenabgeordneter Robert Blum in den von ihm herausgegebenen „Sächsischen Vaterlandsblättern“ die Frage nach der politischen Stellung der Frau aufgeworfen und die Verbesserung des Schulunterrichts für Frauen gefordert. Seinem Aufruf an Frauen, sich zur „Theilnahme der weiblichen Welt am Staatsleben“ zu äußern (Nr. 134 (22.08.1843)), war Louise Otto, damals 24-jährig, mit dem Beitrag „Frauen und Politik“ gefolgt, in dem sie sich für die Beteiligung von Frauen und deren Mündigkeit aussprach (Nr. 187 (23.11.1843); Nr. 188 (25.11.1843)). Dieser Beitrag gilt als eines der frühesten Zeugnisse der „emanzipatorischen Frauenpublizistik“ (Wischermann 2002, S. 223). Seit ihrer ersten Publikation in Blums „Sächsischen Vaterlandsblättern“ verfasste Louise Otto regelmäßig Beiträge für Zeitungen, z.B. für „Unser Planet“, für den „Wandelstern“, den „Leuchtturm“ und die „Laterne“. In Robert Blums „Vorwärts. Volkstaschenbuch für das Jahr 1847“ erschien Louise Ottos grundlegender Artikel „Über die Teilnahme weiblichen Welt am Staatsleben“, in dem sie programmatische Ideen für eine Frauenbewegung entwickelte. Louise Otto publizierte dabei anfangs unter den Pseudonym Otto Stern. Später wird sie sich in ihrem Artikel „Erklärung und Geständnis“, der 1845 in „Der Wandelstern“ erschien, öffentlich zu den Gründen und gesellschaftlichen Umständen der Wahl ihres männlichen Pseudonyms äußern und damit diesem „Verdecken[s]pielen mit dem Publikum“ entsagen:
„Ich war genugsam mit der gesamten neuen Literatur und insbesondere der journalistischen Presse bekannt, um zu wissen, daß letztere in dem, was ihr eigentliches Element ist – einzig und allein von Männern gelenkt ward. Ja, Novellen und Gedichte fanden sich wohl von Frauenhand, aber nur diese zu liefern, genügte meinem Streben nicht – auch Journale unter weiblicher Redaktion, aber den eigentlichen Interessen des Tages blieben sie fremd. Und doch waren diese es allein, welche mich unwiderstehlich trieben die Feder in die Hand zu nehmen. Daß ich allein war, machte mich furchtsam – ich gestehe es ein. – Sieht man unter einem Artikel über irgendein politisches Zeitereignis einen Frauennamen – man wird den Artikel nicht lesen“ (Nr. 35 (August 1845); zit. nach Boetcher Joeres 1983, S. 85f.).
Louise Otto nahm eine wichtige öffentliche Funktion als Fürsprecherin liberaler Politik ein und ihre „Frauen-Zeitung“ spielte eine zentrale Rolle für die Entwicklung eines demokratischen, d.i. revolutionären Bewusstseins. Die Frauenfrage wird zunehmend zu Louise Ottos eigentlichem Wirkungskreis, wobei sie diese stets mit der allgemeinen sozialen Frage und der allgemeinen Emanzipation des Bürgers verband. Sie gilt als eine der ersten Frauenrechtlerinnen Deutschlands. Als sich öffentlich engagierende Frau stand Louise Otto jedoch nicht allein. Auch andere Frauen beteiligten sich rege an den in der Presse geführten Debatten: Sigrid Weigel spricht für diese Zeit von einer „Entfesselung öffentlicher Sprache und Praxis von Frauen“ (Weigel 1983, S. 335). So publizierte z.B. Mathilde Franziska Anneke für die „Kölnische Zeitung“ und die „Augsburger Allgemeine Zeitung“, Claire von Glümer für die „Magdeburger Zeitung“, Johanna Kinkel für die von ihr und ihrem Mann herausgegebene „Neue Bonner Zeitung“ sowie Katharina Zitz für den „Mainzer Demokraten“.
Obgleich Louise Otto bereits in ihren frühen Jugendjahren über den Beruf der Dichterin nachdachte und Gedichte mit politischen Inhalten verfasste sowie später auch in Zeitungen und Gedichtsammlungen veröffentlichte, erwuchs ihr Interesse an der Prosa erst aus ihrer journalistisch-essayistischen Arbeit (vgl. Boetcher Joeres 1983, S. 57). Ihr Schreiben insgesamt schwankt dabei zwischen Idealismus und Realismus, wobei die journalistisch-essayistische Seite klar an den realen Verhältnissen ausgerichtet ist, während auf der literarischen Seite idealistische Züge zum Tragen kommen. Louise Otto veröffentlichte 27 Romane und elf Erzählsammlungen, von denen nur wenige Originalausgaben erhalten sind und Nachdrucke erst allmählich wieder erscheinen. Ihre literarischen Arbeiten werden zeitgenössisch als Unterhaltungsmedien rezensiert (vgl. Bauer 1995, S. 47), was einer typischen Rezeptionsweise von Literatur von Frauen entsprach. Dabei zeugen ihre Romane gleichwohl von einer intensiven Auseinandersetzung mit der literarischen Tradition, z.B. mit Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ in den drei Bänden des Familienromans „Buchenheim“ (1851), mit den Werther-Nachahmungen in „Neue Bahnen“ (1864), mit Ludwig Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen“ im Künstlerroman „Nürnberg“ (1859) oder mit George Sand in „Zerstörter Friede“ (1866) u.a.m. (vgl. Bauer 1995, S. 50f.). Ihr Roman „Schloß und Fabrik“ aus dem Jahr 1846 fiel in Teilen der Zensur anheim und wurde erst nach Änderungen zum Druck freigegeben. Die Publikationshistorie des Romans kann in der 1994 wieder aufgefundenen vollständigen Zensurakte sowie in der Neuausgabe des Romans von 2021 nachgelesen werden (vgl. Ludwig 2021, S. 416-435).
„Die Lehnspflichtigen“ stehen ganz im Zeichen des revolutionären Umbruchs 1848/49. Die im Revolutionsjahr erschienene Erzählung eines Bauernaufstands ist mit dem Untertitel „Eine Westfälische Dorfgeschichte“ 1849 seriell in drei Folgen im ersten Jahrgang der „Frauen-Zeitung“ erschienen. Sie ist die einzige Erzählung von einer Frau, die Hartmut Kircher in seine zweibändige Sammlung „Dorfgeschichten aus dem Vormärz“ (1981) aufgenommen hat.
Tanja Angela Kunz
Textgrundlage:
„Die Lehnspflichtigen. Eine Westfälische Dorfgeschichte“, in: Frauenzeitung, 1. Jg., Nr. 26, 27 + 28 (1849).
Gegensätzliche Positionen
Achten Sie bei der Lektüre darauf, welche gesellschaftlichen Positionen sich in der Erzählung gegenüberstehen und welchen Irrtümern die jeweiligen Parteien mit Blick auf ihr Gegenüber aufsitzen.
Zu den Figuren
- Wer wird im Zuge der Erzählung aufgeklärt und wem kommt die Position des Aufklärenden zu?
- Welchen Charakter zeigt die weiblichen Hauptfigur Helene im Umgang mit August bzw. den Bauern im Gegensatz zu ihrem Vater, dem Gutsherrn?
Zur symbolischen Rolle der Zeit
- In der Erzählung wird die Gegenwart als problematisch determiniert dargestellt. Welche Rolle spielen Vergangenheit und Zukunft?
- Sehen Sie sich den Wechsel der Jahreszeiten im Zusammenhang mit den Vorkommnissen in der Erzählung an: Wann wird es Frühling? Und welche symbolische Bedeutung erhält diese Jahreszeit?
Zum Ausgang des Erzählten
- Welche Funktion hat die Tragik der Liebenden innerhalb der Geschichte?
- Gibt es versöhnliche Aspekte in der Erzählung?
Progression und Regression in der Erzählung
Stephan Brössel spricht von einer „regressiv-progressiven Verschränkungsstruktur“ in der Erzählung von Louise Otto (Brössel 2021, 171). Diskutieren Sie gemeinsam in Ihrer Gruppe:
- Wie sind die hierarchischen Strukturen in der Erzählung organisiert? Verändern sich diese?
- Wie sind die Positionen von Progression und Regression in der Erzählung verteilt?
- In welchem Verhältnis steht die Leitdifferenz alt vs. jung zu Progression und Regression?
- Welches ist die dominierende Institution innerhalb der Erzählung und wie wird diese bewertet? Gibt es ein institutionelles Gegengewicht?
Revolution und Kunst
Lesen Sie den Artikel von Norbert Otto Eke zum Verhältnis von Revolution und Kunst vor und um 1848/49.
Dorfgeschichte und Programm der Frauenzeitung
Überlegen Sie gemeinsam in Ihrer Gruppe, welche typischen Merkmale der Gattung „Dorfgeschichte“ die Erzählung von Louise Otto aufweist.
Denken Sie dabei zurück an den einführenden Podcast zur Gattung.
Lesen Sie nun die programmatische Erklärung im Leitartikel von Louise Otto aus der ersten Ausgabe ihrer „Frauenzeitung“ von 1849. In diesem teilweise manifestartigen Text prangert Louise Otto die Ausgrenzung der Frauen aus der neuen bürgerlichen Öffentlichkeit an, da sie diese als Widerspruch zu den demokratischen Forderungen und liberalen Idealen der Revolution von 1848/49 versteht.
Aufruf an die Frauen im Zuge der Revolution
Bearbeiten Sie zur Inhaltssicherung die folgenden Aufgaben:
Politische Rolle der Frau
Treffen Sie sich mit dem nun erworbenen Wissen in Ihrer Gruppe und diskutieren Sie gemeinsam die folgenden Fragen:
- Welche Stellung sollen nach Louise Otto die Frauen im politischen Befreiungsprozess einnehmen?
- Wie sollen sich die Frauen untereinander verhalten?
- Wo liegen die Grenzen der weiblichen Emanzipation für Louise Otto?
Nehmen Sie nun die Erzählung „Die Lehnspflichtigen“ in Ihre Diskussion mit auf. Bedenken Sie dabei die folgenden Fragen:
- In welchem zeitlichen Verhältnis steht das Erscheinen der programmatischen Erklärung zu jener der Dorfgeschichte?
- Mit welchen sozialen und politischen Implikationen sind die Orte in der Erzählung verknüpft?
- Welche Rolle nimmt Helene im Kontext der revolutionären Bemühungen der Bauern ein?
Fassen Sie die Ergebnisse Ihrer Lektüre und der Diskussion einzeln in einem eigenständigen Text von ca. 1000 Wörtern zusammen. Gehen Sie dabei noch dezidierter als bisher insbesondere auf die Entwicklung von Helene und die von ihr vorgebrachten Argumente zugunsten der Bauern ein, indem Sie Helenes Handeln mit den Forderungen Louise Ottos aus ihrem programmatischen Leitartikel vergleichen.
Kontext des seriellen Erscheinens
Betrachten Sie nun die Struktur der Erzählung von Louise Otto im Kontext ihres seriellen Erscheinens genauer. Nehmen Sie sich dafür der Aufteilung an, nach der die drei Fortsetzungsfolgen der „Lehnspflichtigen“ organisiert sind.
Diskutieren Sie gemeinsam in der Gruppe, welche Spannungsbögen durch die gesetzten Schnitte entstehen.
Veränderung der Erzählung durch den Erscheinungskontext
Lesen Sie Hermann Semmigs Text „An die Frauen“, der auf den Schluss der „Lehnspflichtigen“ in Heft 28 folgt.
Überlegen Sie, in welchem Licht die Geschichte Louise Ottos und insbesondere der Schluss derselben im Kontext der nachfolgenden Ausführungen Semmigs erscheint. Verändert sich die Sicht auf die Erzählung und ihren Schluss durch den nachfolgenden Text?
Ziehen Sie nun den programmatischen Leitartikel von Louise Otto erneut heran und überlegen Sie, wie sich die Lektüre der „Lehnspflichtigen“ durch den Kontext ihres Erscheinens verändert.
Verfassen Sie einen Text von ca. 1000 Wörtern, in dem Sie Ihre Überlegungen zu den Wechselwirkungen zwischen dem programmatischen Einleitungstext und Semmigs „An die Frauen“ mit der Geschichte von Louise Otto darlegen.