Georg Büchner: "Lenz" (1819)
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Georg Büchners Erzählung wurde in acht Fortsetzungsfolgen 1839 (also posthum) unter dem Titel „Lenz. Eine Reliquie von Georg Büchner“ von Karl Gutzkow in dessen Zeitschrift „Telegraph für Deutschland“ veröffentlicht. Büchner selbst hatte die Erscheinung seiner Erzählung ursprünglich eigentlich für Gutzkows Wochenschrift „Deutsche Revue“ vorgesehen, die allerdings verboten wurde, sodass Büchner die Fertigstellung der Erzählung zunächst vertagte. Die genaue Entstehungszeit des „Lenz“ ist nicht bekannt, allerdings hat sich Büchner nachweislich spätestens seit dem Frühjahr 1835 mit dem Stoff beschäftigt. Seine Verlobte Wilhelmina „Minna“ Jaeglé fertigte nach Büchners Tod 1837 eine Abschrift der Textteile an und schickte sie an Gutzkow (vgl. Borgards 2015, S. 51-53). Dieser äußerte zuvor bereits in einem Nachruf auf Büchner („Ein Kind der neuen Zeit“) im „Frankfurter Telegraph“, dem Vorläufer des „Telegraph für Deutschland“, Interesse an dem „Lustspiele, wo Lenz im Hintergrund stehen sollte“: „Möchte es in fromme Hände gekommen sein, die es durch geordnete Herausgabe zu ehren wissen!“ (Gutzkow 1837). Sowohl Büchners Handschriften als auch Jaeglés Abschriften sind leider bis heute verschollen, doch vermutlich bildet die Textgestalt der Veröffentlichung im „Telegraph für Deutschland“ Büchners Manuskript recht genau ab. Für die „Nachgelassenen Schriften“, die sein Bruder Ludwig Büchner 1850 herausgab, wurde die nun als „Lenz. Ein Novellenfragment“ betitelte Erzählung massiv überarbeitet, erst in den 1980er Jahren wurde die Authentizität dieser Fassung in Frage gestellt und allmählich zu Gutzkows Version zurückgekehrt (vgl. Borgards 2015, S. 53f.).
„Lenz“ thematisiert den psychischen Verfall des historischen Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), der mit seinem literarischen Schaffen der kurzen Epoche des Sturm und Drang zugerechnet wird. Durch die Wahl eines psychisch instabilen historischen Protagonisten reflektiert die Erzählung Themen wie soziale Isolation, geistige Gesundheit und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Geistes. Gleichzeitig bietet „Lenz“ einen Einblick in die psychischen Belastungen und den Kampf eines Künstlers gegen die Bedingungen der Gesellschaft. Auch anhand weiterer Texte des Autors wird deutlich, dass Büchner Literatur als Vehikel nutzt, um soziale Missstände anzuprangern und auf politische Probleme aufmerksam zu machen, so etwa in seinen Dramen „Dantons Tod“ (1835) und „Woyzeck“ (1836/37) oder in seinem politischen Pamphlet „Der Hessische Landbote“ (1834). Gutzkow druckte 1838, also ein Jahr vor der Veröffentlichung des „Lenz“, aber ebenfalls posthum, Büchners einziges Lustspiel „Leonce und Lena“ ebenfalls im „Telegraph für Deutschland“ ab: „Ich habe das Versprechen gegeben, einige der von Georg Büchner noch vorhandenen poetischen Reliquien zu veröffentlichen“ (Gutzkow 1838).
Trotz Gutzkows Bemühungen traten Büchners Bekanntheit und seine Würdigung als Schriftsteller erst verzögert ein, als Naturalisten wie Gerhart Hauptmann ihn und sein literarisches Werk wiederentdeckten. „Lenz“ gilt heute als eines der bedeutendsten Werke der deutschsprachigen Literatur, in denen komplexe emotionale Zustände und das Innenleben von Figuren dargestellt werden. Damit wird Büchner als Autor für psychologische Charakterdarstellungen und innovative Erzählweisen markiert, der bis heute nicht nur Schriftsteller:innen fasziniert und inspiriert.
Stephanie Wollmann
Textgrundlage
Georg Büchner: Lenz. Studienausgabe, hg. v. Ariane Martin, Ditzingen: Reclam 2017
Einbettung im Erscheinungsmedium
Wie Sie bereits wissen, ist Büchners „Lenz“ erst posthum im Januar 1839 im „Telegraph für Deutschland“ erschienen. Der Text wurde im Januar 1839 in acht Fortsetzungsfolgen publiziert sowie durch ein Vor- und Nachwort Karl Gutzkows gerahmt, zum dem Büchner neben dem beruflichen auch ein freundschaftliches Verhältnis unterhielt. Sie finden den Originaltext im Digitalisat wie folgt:
Vorwort und Teil 1 (No. 5, Januar 1839, S. 34-40)
Teil 2 (No. 7, Januar 1839, S. 52-56)
Teil 3 (No. 8, Januar 1839, S. 59-62)
Teil 4 (No. 9, Januar 1839, S. 69-72)
Teil 5 (No. 10, Januar 1839, S. 77-78)
Teil 6 (No. 11, Januar 1839, S. 84-87)
Teil 7 (No. 13, Januar 1839, S. 100-104)
Teil 8 und Nachwort (No. 14, Januar 1839, S. 108-111)
Erinnern Sie Folien 14 und 15 aus der interaktiven Präsentation zum „Telegraph für Deutschland“ im Tab „Vor der Lektüre“ und lesen Sie folgenden Brief Büchners an seine Familie, um sich die Beziehung zwischen Büchner und Gutzkow noch einmal zu vergegenwärtigen:
Georg Büchner an die Eltern in Darmstadt (Straßburg, 5. Mai 1835):
Ich habe mich […] an Gutzkow gewendet, mit dem ich fortwährend in Correspondenz stehe. Er ist im Augenblick in Berlin, muß aber bald wieder zurückkommen. Er scheint viel auf mich zu halten, ich bin froh darüber, sein Literaturblatt steht in großem Ansehn. ….. Im Juni wird er hierherkommen, wie er mir schreibt. Daß Mehreres aus meinem Drama [gemeint ist sein Stück „Dantons Tod“; S. W.] im Phönix erschienen ist, hatte ich durch ihn erfahren, er versicherte mich auch, daß das Blatt viel Ehre damit eingelegt habe. Das Ganze muß bald erscheinen. […] Gutzkow hat mich um Kritiken, wie um eine besondere Gefälligkeit gebeten; ich konnte es nicht abschlagen, ich gebe mich ja doch in meinen freien Stunden mit Lectüre ab, und wenn ich dann manchmal die Feder in die Hand nehme und schreibe über das Gelesene etwas nieder, so ist dieß keine so große Mühe und nimmt wenig Zeit weg.
Lesen Sie nun das Vor- sowie das Nachwort zu „Lenz“ im Digitalisat des „Telegraph für Deutschland“. Diskutieren Sie folgende Punkte in der Gruppe:
- Welche Funktionen haben diese Paratexte?
- Wie werden Büchner und sein Text durch Gutzkow im literarischen Feld verortet?
Schauen Sie sich an, an welchen Stellen der literarische Text jeweils unterbrochen bzw. fortgesetzt wird.
- Würden Sie sagen, dass diese Brüche einer bestimmten Logik folgen oder eher willkürlich gesetzt worden sind?
Skizzieren Sie die Stationen, die Lenz im Laufe der Erzählung durchläuft.
An welchen Orten hält er sich mit wem auf?
Narratologie
Die Form, in der die Geschichte Lenz‘ erzählt wird, spiegelt einige Innovationen und Besonderheiten in der Darstellungsweise epischen Erzählens wider. Dazu gehört auch der Modus der erlebten Rede.
- Lesen Sie die Definition der ,erlebten´ Rede und untersuchen Sie, inwiefern Büchners Lenz‘ diesem Erzählschema folgt. Markieren Sie in Ihrem Text konkrete Stellen.
- Überlegen Sie, inwieweit erlebte Rede die Inhaltsebene der Erzählung formal unterstützt.
Fragment oder Novelle?
Vergewissern Sie sich noch einmal der Publikationsumstände von Büchners Text, wie Sie etwa im Einleitungstext dieser Sektion thematisiert werden.
- Lesen Sie den Artikel zu ‚Fragment‘ im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Inwiefern lässt sich „Lenz“ als Fragment bezeichnen? Finden Sie in der Erzählung Hinweise auf ihren potentiell unvollständigen Charakter und markieren Sie in Ihrem Text konkrete Stellen, anhand derer das Ihrer Meinung nach gezeigt werden könnte.
- Sehen Sie nun erneut das Video zur ‚Novelle‘. Inwiefern lässt sich „Lenz“ als Novelle bezeichnen? Markieren Sie entsprechende Hinweise in Ihrem Text.
- Diskutieren Sie darüber, ob es widersprüchlich ist, „Lenz“ gleichzeitig als Novelle und als Fragment zu bezeichnen.
Historische Vorlagen
Wie Sie bereits wissen, hat Büchners Lenz mit dem Sturm und Drang-Schriftsteller Jakob Michael Reinhold Lenz eine historische Vorlage. Erinnern Sie sich dazu an Folie 5 in der interaktiven Präsentation im Bereich „Vor der Lektüre“.
Büchner nutzte für die Ausgestaltung seiner Erzählung historische Zeugnisse über den Schriftsteller Lenz. Ihm lag unter anderem der Bericht des ebenfalls historischen Pfarrers Oberlin über Lenz‘ Aufenthalt bei diesem in Waldersbach vor.
Vergleichen Sie nun die Darstellung Lenz‘ im originalen Bericht Oberlins aus dem Jahr 1778 mit der literarischen Darstellung Büchners. Was haben der literarische und der historische Lenz gemeinsam, worin weichen sie voneinander ab? Inwiefern unterscheidet sich auch die Beurteilung von Lenz‘ Störung durch Oberlin von der Darstellung in Büchners Erzählung?
Schreiben Sie einen Text im Umfang von ca. 500 Wörtern.
Lösungs- und Reflexionshinweise
Krankheit/Wahnsinn
Mit der Darstellung des psychischen Verfalls eines (historischen) Dichters reflektiert Büchners Erzählung Themen wie soziale Isolation, geistige Gesundheit und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Geistes. Erinnern Sie dazu Folien 7-10 in der interaktiven Präsentation im Bereich „Vor der Lektüre“.
- Woran lässt sich die fortschreitende Erkrankung Lenz‘ im Text festmachen? Markieren Sie in Ihrem Text Belegstellen. Achten Sie dabei sowohl auf die Selbstzuschreibung des Protagonisten, als auch auf Äußerungen und Beobachtungen der anderen Figuren.
- Beziehen Sie auch die Funktion der Inszenierung von Natur und Landschaft in Ihre Analyse ein. Inwieweit stehen die Naturbeschreibungen mit individuellen Empfindungen im Zusammenhang? Markieren Sie auch hierzu entsprechende Stellen im Text.
- Welche Strategien wendet Lenz selbst an, um sein Leiden zu verringern? Welche Lösungsansätze verfolgen die anderen Figuren?
- Kommt der Text zu einer (Er)lösung von Lenz‘ Leiden?
Fundamentalrealismus
In Büchners Erzählung werden im sogenannten ‚Kunstgespräch‘ über die Figuren Lenz und Christoph Kaufmann unterschiedliche kunsttheoretische Positionen einander gegenübergestellt (Büchner 2017, S. 13-16).
- Arbeiten Sie diese Positionen zunächst heraus, indem Sie die entsprechenden Stellen farbig markieren.
- Teilen Sie sich in Ihrer Gruppe den jeweiligen Positionen zu und spielen Sie die Diskussion in eigenen Worten nach.
Der Autor Georg Büchner hat in einem Brief an die Eltern selbst kunsttheoretische Reflexionen angestellt. Markieren Sie zentrale Aussagen.
Vergleichen Sie abschließend die Aussagen Büchners mit den Positionen Lenz‘ und Kaufmanns.