Dramenpoetologie
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Bartlomiej Strobel: Porträt von Martin Opitz, ca. 1636
(Public Domain)
Die Trauerspiele von Daniel Casper von Lohenstein und Andreas Gryphius setzen die Tragödientheorien des 17. Jahrhunderts um: Das Schicksal ‚höher‘ gestellter Figuren wird in gebundenen Versen vorgetragen; sie geben – unter Einbindung der Affekte – Trost und Mahnung zugleich. Maßgeblich für die Dramentheorie des Barock waren dabei die Ausführungen des Martin Opitz (1628-1597). Mit seinem 1624 erschienenen „Buch von der deutschen Poeterey“ formulierte Opitz erstmals Gattungsnormen im Hinblick auf eine Poetik der deutschen Sprache. Diese sogenannte Regelpoetik stellt den Versuch dar, die deutsche Sprache als Kunstsprache zu etablieren.
Im Anschluss u.a. an Aristoteles bestimmt Opitz die Tragödie folgendermaßen:
Für die Tragödie werden also die sogenannte Standesregel, erhabene Gegenstände der Darstellung und im Weiteren das ‚genus grande‘ als höchste sprachliche Stilform der Lehre der ‚genera dicendi‘ eingefordert. Opitz, der auch als Übersetzer antiker Tragödien hervorgetreten ist, orientiert sich in der Wirkungslehre der Tragödie aber weniger an Aristoteles und seinen griechischen Beispielen, als an der römischen Tragödientradition, insbesondere des Stoikers Seneca. Die dargestellten Affekte dienen nicht mehr dazu, eine unmittelbare kathartische Wirkung auf das Publikum zu entfalten, sondern wirken vermittelt auf das moralische Gemüt, das durch die wiederholte Begegnung mit der Darstellung von Schrecken auf der Bühne für die Unglücke der Welt immunisiert werden soll.
Das Trauerspiel verhilft also zu „Trost angesichts aktuellen Leids“ und bereitet den (christlichen) Zuschauer auf „Beständigkeit im Hinblick auf künftige Schicksalsschläge“ (Profitlich 1999, S. 26) vor.
Im Gegensatz dazu operiert die Komödie gemäß der Opitz’schen Theorie mit anderem Personal, anderen Konflikten, Affekten und sprachästhetischen Registern:
In der Komödie ist nicht ein möglicher Unterhaltungswert im ‚Verlachen‘ das zentrale Element, sondern letztlich die moralische Erziehung. „Ziel ist die Komödie als moralische und gesellschaftlich nützliche Veranstaltung. Die komische Wirkung ergibt sich aus der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Schein und Sein, wobei nicht zuletzt die Sprache als Mittel der (Selbst-)Entlarvung bzw. der Normbekräftigung dient.“ (Meid 2009, S. 440) Mit der Unterscheidung zwischen Tragödie und Komödie geht für Opitz nicht nur eine Unterscheidung des Personals einher, sondern auch der sprachlichen Register.
Gemäß dieser Unterscheidung von „einfältiger und schlechter Rede“ in der Komödie und „voller und heftiger Rede“ in der Tragödie markiert die Komödie mit ihrem erkennenden ‚Verlachen‘ einen anderen Affektzugriff als die Tragödie mit ihren bombastischen Elementen von ‚Jammer‘ („eleos“) und ‚Schauder‘ („phobos“).
Leonhard Schorer: Gemälde von Johann Christoph Gottsched,
Öl auf Kupfer, 1744
(Public Domain)
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Der einflussreiche Leipziger Professor, Reformator des deutschen Theaters und Aufklärer Johann Christoph Gottsched (1700-1766) stellte sich mit seinen theoretischen Überlegungen wiederholt explizit in die Nachfolge von Opitz. Indem er seine Bemühungen um eine literarische Theorie mit derjenigen seines Vorgängers verband, versuchte er nicht zuletzt ein geschichtliches Kontinuum herzustellen, das seine reformerischen Arbeiten bekräftigte. Seine eigene Regelpoetik legte Gottsched mit seinem an rationalistischen Prinzipien ausgerichteten „Versuch einer Critischen Dichtkunst“ 1730 vor. Sowohl bei Opitzens „Poeterey“ als auch bei Gottscheds „Dichtkunst“ handelt es sich um sog. Anweisungspoetiken.
Gottsched unterscheidet sich von Opitz hinsichtlich der ästhetischen Behandlung der Vorbilder. Beide Regelpoetiker greifen zwar auf die gleichen antiken Wurzeln zurück, u.a. auf stoizistische Theorien. Gottsched jedoch bezieht sich von hier aus stärker auf die französische Tradition, was er mit der größeren sprachlichen Reinheit der Franzosen und ihrer stärkeren Orientierung an den Gesetzen der Dichtung der klassischen Antike begründet.
Vielfach wurde Gottsched einer kritiklosen Verteidigung der Franzosen, einer Französisierung der deutschen Literatur und einer Verachtung der Engländer bezichtigt. Ein solch pauschales Urteil wird jedoch bereits widerlegt, wenn man einen Blick in diejenigen Stücke wirft, die Eingang in seine Sammlung „Die deutsche Schaubühne“ (1741-45) fanden. In diese sechsbändige Dramentextsammlung nahm Gottsched seiner Ansicht nach mustergültige Beispiele auf, zu denen er auch Stücke der Engländer Joseph Addison und Richard Steele zählte. Er beauftragte seine Frau, Luise Adelgunde Victorie Gottsched, mit der Übersetzung der Dramen der Engländer. Allerdings favorisierte Gottsched insgesamt eindeutig die Franzosen und schätzte auch die Bedeutung Shakespeares gering – anders als später Gotthold Ephraim Lessing in seinen ebenfalls regelpoetisch begründeten Versuchen zu einer normativen Poetik mit gleichfalls klar wirkungsästhetischen Absichten.
Lesen Sie nun das zehnte Kapitel aus Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst“. Gottsched hebt darin die französischen Tragödien (hier vor allem von Pierre Corneille) als beispielgebend hervor und grenzt sie u.a. von Lohensteins Tragödien ab.
Textgrundlage:
Johann Christoph Gottsched: Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen, Leipzig: Breitkopf 1730, URL: https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/gottsched_versuch_1730?p=7.
Das zehnte Kapitel
Lesen Sie nun das zehnte Kapitel aus Gottscheds „Versuch einer Critischen Dichtkunst“. Gottsched hebt darin die französischen Tragödien (hier vor allem von Pierre Corneille) als beispielgebend hervor und grenzt sie u.a. von Lohensteins Tragödien ab.
Gottscheds Regelpoetik
Machen Sie sich anhand der folgenden Aufgaben weitere zentrale Aspekte aus dem zehnten Kapitel von Gottscheds „Critischer Dichtkunst“ bewusst.