Gotthold Ephraim Lessing: „Minna von Barnhelm“
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Seit 1763 arbeitete Lessing an seiner Komödie „Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück“, welches 1767 zur Ostermesse beim Verleger Christian Friedrich Voß erschien. Noch im September des gleichen Jahres wird das Stück im Hamburger Nationaltheater uraufgeführt. Lessing scheint es wichtig gewesen zu sein, „Minna von Barnhelm“ bereits 1763 fertig gestellt zu haben, da er dies explizit auf dem Titelblatt des Stücks vermerken ließ. Die Annahme liegt nahe, dass Lessing auf den Frieden von Hubertusburg anspielen wollte, der den Siebenjährigen Krieg zwischen Preußen, Österreich und Sachsen beendete (vgl. Fick 2016, S. 262). Und in der Tat spielt auch der Siebenjährige Krieg eine Rolle innerhalb des Lustspiels.
Nicht nur wegen der Bearbeitung des Krieges, sondern besonders wegen seines aktuellen Gehalts lobt Goethe das Stück:
„Eines Werks aber, der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutschen Nationalgehalt muß ich hier vor allem ehrenvoll erwähnen; es ist die erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporären Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende Wirkung tat, ‚Minna von Barnhelm‘“ (Goethe 2007, S. 307-308).
In Lessings dramatischer Bearbeitung bilden die Geschehnisse um den Siebenjährige Krieg den Hintergrund für die Problematisierung des preußisch-militärischen Ehrbegriffs, denn hier zeigen sich die emotionalen Verstrickungen von Individuum und Gesellschaft besonders deutlich (vgl. Brenner 2011, S. 79). In der „Minna von Barnhelm“ bilden eine sich verändernde Liebes- und Ehekonzeption das Zentrum des dramatischen Konflikts und seiner (glücklichen) Lösung: Erst in der Moderne wird die Liebe zu einem legitimen Heiratsgrund. Die Liebesehe umfasst zum einen die privaten Gefühle der Liebenden und zum anderen die rechtlich-öffentliche Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau zu einer Versorgungsgemeinschaft. Zwischen diesen beiden spannungsreichen Polen – private Gefühle und rechtlich-öffentliche Verbindung – bewegen sich die Figuren Minna und Tellheim. Vorstellungen von Ehre interferieren mit beiden Sphären, denn eine unehrenhafte Liebe ist ebenso problematisch wie ein Eheleben, das den öffentlichen Ehrvorstellungen entgegenläuft (vgl. Saße 1997, S. 3).
Lassen diese wenigen Andeutungen zunächst vermuten, dass wir es mit einem Trauerspiel zu tun haben, so konnten die Leser:innen schon im Erstdruck am Untertitel erkennen, dass es sich um ein Lustspiel handelt. Wenngleich im 18. Jahrhundert sich die in der klassizistischen Tradition eigentlich streng geschiedenen Gattungen von Komödie und Tragödie annäherten, so bricht Lessings Lustspiel (wie auch Gellerts ‚rührendes Lustspiel‘) zunächst vor allem mit der im deutschen Sprachraum lange bestimmenden Gattungstraditionen der Typenkomödie, indem er Charaktere (also Individuen) und keine zu verlachenden typenhaft gezeichneten Figuren auf die Bühne bringt. Allerdings behält Lessing das Element der Intrige bei, welches der Typenkomödie zu eigen ist (vgl. Fick 2016, S. 262-263).
Textgrundlage:
Gotthold Ephraim Lessing: Minna von Barnhelm, oder das Soldatenstück. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen, hg. v. Klaus Bohnen, Berlin: Deutscher Klassiker Verlag 2010.
William Hogarth:
„Das lachende Publikum“
Gravur, 1733
(Public Domain)
„Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück“ wird als Lustspiel bezeichnet. Damit ist auch begrifflich ein Unterschied zur frühaufklärerischen Sächsischen Typenkomödie markiert. Wie Sie in unserem Video [Link] zum „Lachen als Affekt der Komödie“ erfahren haben, kann man diesen Unterschied auch in der begrifflichen Opposition von Verlachen und Lachen fassen. Mit dem Lustspiel wird das Lachen von seiner stark moralpragmatischen Funktionalisierung im 18. Jahrhundert zunehmend entkoppelt. Das Lachen erhält einen Wert „sui generis“:
„Ihr wahrer allgemeiner Nutzen liegt in dem Lachen selbſt; in der Uebung unserer Faͤhigkeit das Laͤcherliche zu bemerken; es unter allen Bemaͤntelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen mit noch schlimmern oder mit guten Eigenſchaften, sogar in den Runzeln des feyerlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken.“ (Lessing 1767, S. 225)
Nicht nur das Verlachen in der Typenkomödie lehnt Lessing ab, er zeigt in seinen Lustspielen ebenso keine Typen, sondern gemischte Charaktere. Lesen Sie sich den Auszug über die gemischten Charaktere von Wilfried Barner in „Lessing. Epoche – Werk – Wirkung“ durch (vgl. Barner 1981, S. 188-189).
‚dramatis personae‘
Diskutieren Sie in der Gruppe, inwiefern es sich bei den ‚dramatis personae‘ in „Minna von Barnhelm“ um gemischte Charaktere handelt.
Liebe und Ehre
Das Personal des Lustspiels „Minna von Barnhelm“ ist komplex angelegt. So verhält es sich auch mit den Affekten der Charaktere und besonders mit deren Ehrverständnis.
Bitte sehen Sie sich zur Begriffsgeschichte von ‚Ehre‘ zunächst die Präsentation an, die Sie bereits aus dem Aufgabenteil zur „Sophonisbe“ kennen:
Die Interaktion zwischen Major Tellheim und Minna von Barnhelm bewegt sich vor allem im Spannungsfeld von Liebe und Ehre. Aufgrund seiner ‚unehrenhaften‘ Entlassung aus dem Militär und seiner schlechten finanziellen Lage sieht Tellheim sich nicht im Stande, Minna zu ehelichen. Diskutieren Sie, wie Tellheim und Minna jeweils Ehre bewerten (s. besonders II. Aufzug, 9. Auftritt, III. Aufzug, 12. Auftritt und IV Aufzug, 6. Auftritt).
Affektzuschreibungen
Überlegen Sie, wie Affektzuschreibungen von Minna genutzt werden, um vor allem Tellheim in seinem Handeln ihr gegenüber zu beeinflussen. Folgende Fragen können Ihnen dabei behilflich sein:
- Wie schafft es Minna letztlich, die ‚Ehre‘ Tellheims wiederherzustellen?
- Gibt es einen Unterschied in der Darstellung von ‚männlichem‘ und ‚weiblichem‘ Ehrgefühl?
Der Ehr-Komplex in der „Minna“
Zwei einflussreiche Positionen aus der Lessing-Forschung zur Interpretation des Ehr-Komplexes in der „Minna“ kommen von den Literaturwissenschaftlern Peter Michelsen und Gisbert Ter-Nedden. Lesen Sie im Folgenden die Auszüge aus ihren Publikationen. Markieren Sie die zentralen Aussagen zur Ehre. Überlegen Sie im Anschluss, inwiefern sich die Positionen unterscheiden. Nehmen Sie in einem kurzen Text (1000 Wörter) vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Überlegungen aus der Bearbeitung des Stückes Stellung zu den beiden Positionen.
Die zentralen Stellen finden Sie auf den Seiten 221-280 in „Der unruhige Bürger“ (1990) von Michelsen [den Scan dieses Abschnittes finden Sie unten] und auf den Seiten 241-310 in „Der fremde Lessing“ (2016) von Ter-Nedden.
1: Minna von Barnhelm II. Aufzug. IX. Auftrit, 1769
2: Minna von Barnhelm IV. Aufzug. II. Auftrit, 1769
(1: CC BY-SA 3.0 von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel
& 2: CC BY-SA 3.0 von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel)
Es ist vor allem die Liebe, die Minna antreibt, immer wieder die Initiative zu ergreifen, um Tellheim umzustimmen.
Die Liebe bei Minna
- Was genau steht für Tellheim der Liebesverbindung mit Minna entgegen (II. Aufzug, 9. Auftritt)?
- Wie reagiert Minna zunächst darauf?
- Rekonstruieren Sie die Intrige, die die „Komödiantinnen“ (Lessing 2010, S. 107) Minna und Franziska spinnen (IV. Aufzug, 7. Auftritt).
- Diskutieren Sie, warum Minna ihre eigene Ehrhaftigkeit gegenüber Tellheim beschädigt.
- Welche neue Entwicklung ergibt sich mit der Ankunft des Briefes im 5. Aufzug? Wie kommt es, dass Minna nun zunächst eine Heirat ablehnt, für die sie zuvor gekämpft hat?
- Welche Rolle kommt dem Verwirrspiel um die Verlobungsringe bei der Vorbereitung des Komödienschlusses zu?
- Diskutieren Sie, inwiefern der Ausgang des Stückes gänzlich ein glücklicher genannt werden kann.
Verhältnis von Ehre und Liebe
Vergleichen Sie abschließend die Auffassung des Verhältnisses von Ehre und Liebe bei Minna mit derjenigen Tellheims. Erörtern Sie, ob im Stück stereotype Vorstellungen von den Geschlechterrollen aufgebrochen oder eher bestätigt werden. Beziehen Sie in Ihre Überlegungen auch die Gattungskonventionen der Komödie im 18. Jahrhundert mit ein.