Christian Fürchtegott Gellert: „Die zärtlichen Schwestern“
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Christian Fürchtegott Gellerts Drama „Die zärtlichen Schwestern“ wurde 1747 verfasst und entweder im selben Jahr (Schwarz 2001, S. 65) oder 1749 (Daunicht 1963, S. 73) in Leipzig uraufgeführt. Sein Autor ist vor allem als Dichter von Fabeln und Lehrgedichten bekannt, die ihn ab 1746 (in diesem Jahr erscheint der Band „Fabeln und Erzählungen“) recht schnell berühmt machten. Gellert genoss seinerzeit bei Leser:innen und Schriftstellerkolleg:innen hohes Ansehen, nahm aktiv an den zeitgenössischen Debatten über Literatur, Rhetorik, Philosophie, Theater und anderen Themen teil und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Aufklärung im deutschsprachigen Raum. Daneben gilt er auch als wichtiger Popularisierer von Literatur als Medium gesellschaftlichen Austauschs. Sein Stück „Die zärtlichen Schwestern“ trug dazu bei, das Modell des ‚rührenden Lustspiels‘, theoretisch formuliert in seiner „Abhandlung für das rührende Lustspiel“ von 1751, auf den deutschen Bühnen zu etablieren (vgl. Daunicht 1963, S. 65f.) und weist „entwicklungsgeschichtlich auf das kommende bürgerliche Trauerspiel voraus“ (Wölfel 1964). Gellert orientierte sich an französischen Vorbildern, etwa den Stücken Denis Diderots, und siedelt die Handlung seines Dramas nicht mehr im adligen Milieu an. Bürgerliche Figuren werden als aufgeklärt und empfindsam dargestellt und ihre Probleme werden potenzieller Stoff von nicht-komischen Theaterstücken. Der Text steht in diesem Textpaket also für einen neuen Dramentyp und bietet zugleich die Möglichkeit, neue Aspekte der Geschlechts- und Liebeskonzepte zu rekonstruieren, die sich im 18. Jahrhundert ausbilden.
Besonders interessant ist, wie die Figuren in den „Zärtlichen Schwestern“ dialogisch ihre Standpunkte begründen und wie sich ihre Gefühle bzw. Affekte zeigen. Das geschieht längst nicht immer sprachlich. Besonders an Julchen wird ein Konflikt zwischen ‚Sprache‘, ‚Gefühl‘ und ‚Wissen‘ dargestellt. Die Konstellation der beiden unverheirateten Schwestern, um deren Vermählungen die Handlung kreist, ist der anderer Stücke der Zeit, etwa von Schlegels „Stummer Schönheit“, sehr ähnlich. Das Problem verlagert sich bei Gellert nun vollständig auf die Kindergeneration, also die Töchter, und ihre potenziellen Partner selbst. Der autoritative Spielraum der Elternfiguren erscheint gegenüber früheren Stücken deutlich eingeschränkt, wenngleich entsprechende Gesten nach wie vor präsent sind. Cleon etwa, Vater von Julchen und Lottchen, entspricht bereits stark dem Typus des ‚zärtlichen Vaters‘, beruft sich aber in Teilen noch immer auf die Autorität seiner Rolle (vgl. Lukas 2005, S. 158). Er, Simon (der Vormund von Damis, der Julchen heiraten möchte), vor allem aber Cleons Bruder, der Magister, repräsentieren zwar zum Teil noch ein ‚altes‘ Beziehungsmodell, wirken aber nicht mehr autoritär auf die Partnerwahl der Schwestern ein, sondern versuchen, argumentativ zu überzeugen.
Das zentrale Problem des neuen Beziehungsmodells liegt in dem Wunsch, einen Partner zu wählen, zu dem eine emotionale Verbindung besteht, dabei aber nie ganz sicher sein zu können, ob es das Gegenüber mit seinen Bekundungen, die zumeist sprachlich erfolgen, auch wirklich ernst meint. Zwischen den Gefühlen der Figuren und ihrem Handeln liegt die für Heimtücke und Verstellung anfällige Sprache als potenziell krisenhaftes Medium. Das lässt sich zunächst an der Beziehung von Lottchen und Siegmund nachvollziehen. Die beiden verbindet nicht eine leidenschaftliche und intensive ‚Liebe‘, wie sie etwa in Stücken des Sturm und Drang begegnet, sondern vielmehr eine tiefe und betont aufrichtige Zugeneigtheit, die nach heutigen Maßstäben eher als Sympathie oder ‚freundschaftliches Wohlwollen‘ zu bezeichnen wäre (vgl. Titzmann 2012, S. 338). Sie soll ihrem Wesen nach nicht leidenschaftlich, sondern beständig sein, auf vernünftigen Prinzipien beruhen (vgl. Greis 1991, S. 37) und beide Partner dauerhaft glücklich machen. Das Glück des einen ist ohne das des anderen nicht zu denken (vgl. Saße 1996, S. 114). Damit wird die Ehe zu einer politischen Institution, die als Instanz von Vergemeinschaftung einerseits Öffentlichkeit herstellt (vgl. ebd., S. 99), sich aber zugleich im privaten Raum der bürgerlichen Familie konstituiert, wo Offenheit und Aufrichtigkeit, anders als im höfischen Milieu, das hiermit abgewertet wird, die Regeln für das Zusammenleben der Akteure vorgeben. Trotzdem bestehen auch hier Gefahren: Personen können sich einerseits verstellen und ihre wahren Absichten hinter dem Schein schöner Beteuerungen verbergen. Andererseits kann es passieren, dass eine Figur sich über ihre Gefühle selbst nicht im Klaren ist und Dinge sagt, die im Widerspruch zu ihren wahren Intentionen stehen. Davon, wie in beiden Fällen zu handeln ist und wie positive Verbindungen dennoch gelingen können, handelt Gellerts Stück.
Textgrundlage:
Christian Fürchtegott Gellert: Die zärtlichen Schwestern, hg. v. Horst Steinmetz, Stuttgart: Reclam 2018.
Die Schwestern
- Wie beschreiben die beiden Schwestern zu Beginn des Stücks jeweils ihre Situation als unverheiratete Frau?
- Welche Eigenschaften werden den beiden im Gespräch mit ihrem Vater zugewiesen?
Der Vater
- Wie charakterisieren Sie Cleon als Vaterfigur?
- Wie tritt er gegenüber seinen Töchtern auf und wie verhält er sich mit Blick auf seine eigenen Emotionen?
Affekte
- Welche Affekte werden von den Figuren des Stücks zur Schau gestellt?
- Teilen Sie sich zur Beantwortung dieser Frage die Figuren Cleon, Lottchen, Julchen, Damis und Siegmund zunächst untereinander auf und tragen Sie Ihre Ergebnisse anschließend in einer Tabelle unter Angabe der jeweiligen Textstellen innerhalb Ihrer Gruppe zusammen.
Eine Vorlage für die Tabelle finden Sie in dieser Datei.
Lottchens Liebeskonzeption
Was könnte Lottchen meinen, wenn sie davon spricht, Siegmund „zärtlich“ zu lieben (z. B. im achten Auftritt des ersten Aufzugs)?
Zur Beantwortung dieser Frage kann es Ihnen helfen, den digitalen Text nach dem Schlagwort „zärtlich“ zu durchsuchen.
Julchens Liebeskonzeption
- Wogegen richtet sich Julchens „Freiheitsdrang“ vor allem (etwa im sechsten Auftritt des ersten Aufzugs)?
- Welche Strategie denkt sich Lottchen aus, um diesen „Freiheitsdrang“ in Liebe zu Damis zu überführen (vgl. etwa den vierten Auftritt des ersten Aufzugs)?
- Julchen artikuliert in den ersten beiden Auftritten des zweiten Aufzugs ein Misstrauen gegenüber der Sprache. Worin genau besteht dieses Misstrauen?
Alte und neue Liebeskonzeption
Im Gespräch zwischen Julchen und dem Magister (erster Aufzug, neunter Auftritt) werden zwei Liebeskonzeptionen einander gegenübergestellt. Wodurch sind die Modelle jeweils gekennzeichnet, welche Aspekte (Wollen, Zuneigung, Vernunft etc.) spielen eine Rolle, welche nicht? Beachten Sie hierzu auch den vierten Auftritt im ersten Aufzug sowie den ersten Auftritt im zweiten Aufzug.
Fertigen Sie eine Tabelle an und laden Sie Ihr Ergebnis hier hoch. Eine Vorlage finden Sie in dieser Datei.
Sprache der Liebe
Zu Beginn des dritten Aufzugs, auf dem „Höhepunkt“ der Intrige, „spricht“ Julchens Herz dennoch für Damis. Welchen Konflikt trägt Julchen hier aus? Welche Rolle spielt das „Herz“ im ‚Empfindsamkeitssystem‘ des Textes?
Später bekennt sich Julchen, auch sprachlich, zu Damis. Diskutieren Sie, welche Bedeutung bzw. Funktion diese sprachliche Artikulation ihrer Verbindung mit ihm haben könnte.
Parallel dazu beginnt die Entlarvung Siegmunds als „Betrüger“ (dritter Aufzug, siebter Auftritt) und „Unmensch“ (dritter Aufzug, neunter Auftritt). Welche Mittel sind nötig, um Lottchen vom schlechten Charakter ihres Partners zu überzeugen? Und welche Funktion hat sein Betrug für die Verbindung von Julchen und Damis?
Liebeskonzeptionen
Denken Sie gemeinsam darüber nach, wie das „Problem“, eheliche Verbindungen primär durch emotionale Zuneigung zu legitimieren und weniger durch Faktoren wie Besitz und Fortpflanzung, im Stück gelöst wird und welche Funktion den verschiedenen Rollen (Cleon, Magister, Julchen, Lottchen, Damis, Siegmund) in diesem Diskurs jeweils zugewiesen wird. Teilen Sie dafür die Figuren in Ihrer Gruppe zunächst untereinander auf und tragen Sie Ihre Ergebnisse dann zusammen.
Lottchens Kommunikationsverhalten
Beobachten Sie Lottchens Kommunikationsverhalten im Verlauf des Stücks.
- Stellen Sie eine Veränderung fest?
- Welches ‚Wissen‘ hat die Figur über ihre eigenen Qualitäten und den Zustand ihrer Schwester?
Ziehen Sie dafür zum Beispiel den sechsten und siebten Auftritt des zweiten Aufzugs heran.
Monologe
Welche Funktion(en) haben die Monologe innerhalb der Handlung, vor allem von Siegmund (zehnter, zwölfter und siebzehnter Auftritt des zweiten Aufzugs; achter Auftritt des dritten Aufzugs) und Lottchen (fünfzehnter Aufzug des dritten Aufzugs)?
Folgende Fragen können Ihnen dabei helfen:
Was fällt sprachlich auf? Was reflektieren die Figuren an diesen Stellen?
Fabel
In vierzehnten Auftritt des zweiten Aufzugs erzählt der Magister Julchen eine selbstgeschriebene Fabel.
- Welche Funktion hat dieser Text?
- Welche Rolle spielt die Textsorte, wie beurteilt der Magister Fabeln als Erkenntnisinstrument?
Denken Sie an die Bedeutung der Fabel für Gottscheds Tragödienkonzeption sowie die Inhalte zur Fabel in der interaktiven Präsentation im Reiter „Vor der Lektüre“ zurück.
Rührendes Lustspiel
Lesen Sie Gellerts „Abhandlung für das rührende Lustspiel“ im Anhang Ihrer Textausgabe und überprüfen Sie anhand dieses interaktiven Quizzes, ob Sie seine Argumentation für die Ansiedlung einer neuen Gattung zwischen Komödie und Tragödie verstanden haben.
Rührendes/Weinerliches Lustspiel
Erinnern Sie sich an die Ausführungen in der interaktiven Präsentation im Reiter „Vor der Lektüre“ zur ‚sentimental comedy‘ bzw. der ‚comédie larmoyante‘, außerdem an den interaktiven Inhalt zum rührenden Lustspiel sowie an Ihre Affekt-Tabelle aus der gemeinsamen Gruppenarbeit zu Beginn der Einheit.
Setzen Sie Ihren Fokus dabei nicht bloß auf textimmanente (z.B. Figurenzeichnung, Sprache, Stil) Elemente, sondern ziehen Sie auch wirkungsästhetische Aspekte (z.B. Wirkung auf das Publikum, Sympathielenkung der Figuren, Verhandlung moralischer Konzepte) in Ihre Argumentation mit ein.
Schreiben Sie einen Text im Umfang von ca. 500 Wörtern, inwiefern Gellerts Stück „Die zärtlichen Schwestern“ als Rührendes bzw. Weinerliches Lustspiel bezeichnet werden kann.